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Süddeutsche Zeitung, 11.01.10

> Kampf um die Atomkraft
> Gemeinsam spalten

Nach der Wahl schien alles klar zu sein: Die Laufzeiten für Kernkraftwerke würden verlängert
werden. Geschehen ist - nichts. Darum wird es jetzt eng für die Atomkraft.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller

Zwei Halbkugeln ein paar hundert Meter hinter den letzten Häusern haben die schwäbische
Gemeinde Neckarwestheim wohlhabend gemacht. Zwischen Heilbronn und Stuttgart ging
hier 1976 der erste von zwei AKW-Blöcken in Betrieb.

Der 3500-Ort hat sich mit dem Meiler arrangiert und doch rückt er nun ins Zentrum des
deutschen Atomstreits. Denn Neckarwestheim 1 steht laut Atomausstiegsgesetz ganz oben
auf der Abschaltliste. Schon im Frühjahr könnten dem Reaktor die Reststrommengen
ausgehen. Der Anlage droht als erster in Deutschland das Aus.

In der Energiebranche wächst die Nervosität. Längere Laufzeiten für bedrohte Meiler wie
Neckarwestheim oder Biblis A und B schienen nach der Bundestagswahl nur noch
Formsache. Schon in den Tagen nach der Wahl rieben sich Energiemanager die Hände.
Seitdem herrscht Stillstand. "Wir würden uns eine schnelle Entscheidung und
Planungssicherheit wünschen", räumt ein Sprecher von EnBW ein. Die Koalitionäre aber sind
zerstritten. Vor allem Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat bislang wenig
Sympathien für eine rasche Verlängerung von Laufzeiten erkennen lassen - auch mit Blick
auf die heikle Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai.

Merkel will eingreifen

Einzig Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wirbt derzeit offensiv für längere
Reaktor-Lebenszeiten. Eine Auseinandersetzung, die nicht nur die Koalition lähmt: Erst im
Sommer soll ein Entwurf für ein nationales Energiekonzept vorliegen. Bis Oktober soll es
stehen. Auf dieser Basis, so heißt es im Umweltministerium, könne dann über die Zukunft
der Kernkraft entschieden werden. Zu spät für die ersten Meiler, wissen führende
Atommanager.

Doch nach Informationen der Süddeutschen Zeitung könnte nun ein Machtwort den Streit
beenden. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich in die Auseinandersetzung
ihrer Minister einschalten. Dem Vernehmen nach will sie die Initiative ergreifen und Röttgen
und Brüderle in den nächsten Wochen - voraussichtlich im Februar - zum vertraulichen
Gespräch ins Kanzleramt laden. Schließlich werden in der Union die Rufe nach mehr
Führung immer lauter - auch in der Atomfrage.

Vor allem die süddeutschen Bundesländer sind von der Kernkraft abhängig, wollen sie weiter
im großen Stil Strom erzeugen. Und sie werden deshalb zunehmend ungeduldig. "Die Daten
und Analysen liegen doch längst vor", beschwerte sich unlängst Bayerns Umweltminister
Markus Söder (CSU).

"Jetzt geht es um konkretes Handeln." Am frühesten allerdings würde es Baden-
Württemberg treffen, das derzeit 49 Prozent seines Stroms aus Atomkraft bezieht. "Die
Landesregierung setzt sich nachdrücklich für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke
ein", heißt es deshalb im neuesten Energiekonzept von Baden-Württemberg, das seit diesem
Montag landesweit umworben wird.

"Wirklich noch nicht am Ende"

Führende Energiemanager haben ohnehin die Geduld verloren. Im Sommer habe die
Branche Gespräche darüber angeboten, wie zusätzliche Erträge behandelt werden sollten.
Seither sei monatelang nichts passiert, wettert einer hinter vorgehaltener Hand.

Nicht einmal Sondierungsgespräche habe es gegeben. Diese Verunsicherung sei kaum zu
verantworten, so der Spitzenmanager weiter. "Man muss sich schon fragen, warum deutsche
Meiler eine Laufzeit von 32 Jahren haben, während ein paar Kilometer weiter in den
Niederlanden 60 Jahre gelten", sagt auch RWE-Chef Jürgen Großmann der Süddeutschen
Zeitung. "Unsere Kraftwerke sind nun wirklich noch nicht am Ende. Wir investieren laufend in
ihre Sicherheit."

Aus Sicht der Energiekonzerne geht es längst um mehr als Politscharmützel: Weil nicht nur
erste Atommeiler vom Netz müssen, sondern auch noch der Bau neuer Kohlekraftwerke
wegen des wachsenden Widerstands stockt, warnt der RWE-Chef im SZ-Gespräch vor
drohenden Engpässen beim Strom: "Vieles steht auf der Kippe. Das Problem ist, dass nicht
ausreichend Ersatzkapazität bereitsteht. Das haben die aktuellen Berechnungen der
Deutschen Energie-Agentur noch einmal bestätigt."

Frühestens im Mai, so heißt es aus einem Energiekonzern, wolle die Politik über die
Laufzeitverlängerung reden, um den Wahlkampf in NRW nicht zu belasten. Bei EnBW aber
weiß man sich zu helfen. Vorsorglich ruft der Konzern seit Monaten nicht mehr die ganze
Leistung seines bedrohten Blocks in Neckarwestheim ab. So könnte das Unternehmen
Reststrommengen bis nach der nächsten Wahl strecken. Tricks gegen den Streit? Ein
Sprecher des Konzerns weist das zurück. "Es geht um eine betriebswirtschaftlich optimierte
Fahrweise des Kraftwerks."




RWE-Chef Jürgen Großmann: "Man muss sich schon fragen, warum deutsche Meiler eine
Laufzeit von 32 Jahren haben, während ein paar Kilometer weiter in den Niederlanden 60
Jahre gelten." (Foto: Kernkraftwerk Neckarwestheim, dpa)


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