"Das Ziel muss sein: günstiger Preis und grüner Strom"
Im Artikel zwei lesenswerte Zeitungsberichte zum Stand der Dinge bei den 2011 neu gegründeten Stadtwerken Stuttgart. Für den Atomkonzern EnBW geht es hierbei "ans Eingemachte". Für die StuttgarterInnen um eine zukunftsfähige, ökologische und dezentrale Energieversorgung in kommunaler Hand.
Die beiden Artikel erschienen in der Stuttgarter Zeitung vom 24. und 25. Januar 2012.
Energiewende
Stadtwerke-Start mit tausend Kunden?
Von Wolfgang Schulz-Braunschmidt
Stuttgart - Der erste Werbespot für die seit Juli 2011 als leere GmbH-Hülle existierenden Stadtwerke Stuttgart ist schon gelaufen: „Schon im Sommer können sie Strom von der Stadt kaufen“, warb SPD-Fraktionschefin Roswitha Blind beim Neujahrsempfang der Genossen in der vergangenen Woche. Es könnte auch noch ein wenig länger dauern. Es könnte durchaus Herbst werden, bis die neue städtische Energietochter ihren Kunden garantiert sauberen Ökostrom liefern kann.
Der Zeitpunkt dürfte auch vom Verlauf der Sitzung des Stadtwerke-Aufsichtsrats am Dienstag abhängen. Auf dieser stellen drei potenzielle Stromvertriebspartner ihre Konzepte und Offerten vor. In der auf mehrere Stunden anberaumten Sitzung sind nach Informationen der Stuttgarter Zeitung neben den Stadtwerken Aachen (Stawag) auch Vertreter der Thüga, des größten kommunalen Netzwerks lokaler und regionaler Energieversorger, und die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) aus dem Schwarzwald mit von der Partie. Von den zahlreichen Versorgern, die sich als Partner angeboten haben, ist nach der Vorauslese dieses Trio übrig geblieben.
Stromrebellen gelten als Favorit
Der gesuchte Vertriebspartner soll künftig ausschließlich sauberen Ökostrom nach Stuttgart liefern, der von den Stadtwerken dann als eigene Marke, etwa als „Stuttgart-Strom“, angeboten wird. Nach und nach soll schon in naher Zukunft immer mehr saubere Elektrizität aus der eigenen dezentralen Erzeugung hinzukommen. Dafür will die städtische Energietochter im Jahr mindestens 70 Millionen Euro in neue Wasser-, Windkraft und Sonnenstromanlagen investieren.
Unter Kennern der Verhältnisse gelten die EWS beim Thema Vertrieb als klarer Favorit. „Die sind schließlich die Pioniere des Ökostroms“, ist aus der Verwaltung zu hören. Die Vorreiter in Sachen saubere Energie hätten zudem auch das beste Marketingkonzept auf den Tisch gelegt und genössen als Anbieter aus dem Land auch einen gewissen Heimvorteil.
Das Angebot aus dem Schwarzwald enthält zudem aus Stuttgarter Sicht ein besonders lukratives Bonbon: „Die Schönauer sind bereit, ihre gut 1000 Stuttgarter Stromkunden, den neuen Stadtwerken zu übertragen“, heißt es im Rathaus. Dieses Startkaptal gilt intern als „gewaltiges Pfund“, weil die städtische Energietochter dann bereits beim Start eine erkleckliche Zahl von Kunden vorweisen könnte.
Schwieriger verlaufen offenbar die Erörterungen zum Thema Netze. Die Stadt hat – wie berichtet – die zu Ende 2013 auslaufenden Konzessionsverträge für Strom, Gas und Wasser europaweit ausgeschrieben. Gleichzeitig hat der Gemeinderat beschlossen, die Versorgung in die kommunale Hand zu nehmen. Alle Versorgungsnetze müssen allerdings von der EnBW, dem amtierenden Konzessionsinhaber, zurückgekauft werden.
Die Gutachter haben im Vorfeld eine „schlanke Lösung“ empfohlen. Dabei soll die Stadt das Eigentum an allen Versorgungsnetzen erwerben, beim Betrieb aber erfahrene Kooperationspartner beteiligen. Ein Interesse am Strom und Gasnetz haben bereits aber neben der Stadt selbst noch fünf große Energieversorgungsunternehmen bekundet. Neben den EnBW sind die Energie in Bürgerhand aus Freiburg, die Kommunalpartner, eine Beteiligungsgesellschaft von Stadtwerken aus dem Land, die EWS-Netzgesellschaft aus Schönau und die Thüga mit von der Partie. Die Interessen der Stadt werden von der Stuttgarter Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (SVV), der städtische n Beteiligungsgesellschaft, vertreten.
„Die Gespräche sind zäh“, heißt es schon vor den eigentlichen Verhandlungen über die Konzessionsvergaben, die im März beginnen sollen. Die EnBW bestünden beim Stromnetz auf einem Anteil von mindestens 51 Prozent, ist zu hören. „Andere Unternehmen sind bescheidener und bereit, sich mit der Rolle eines Minderheitsgesellschafters abzufinden“, heiß es. Geprüft wird noch, ob Stuttgarter Bürger Anteile an der neuen Netzgesellschaft erwerben können. Der Wunsch kritischer Bürger, die Stadt solle alle Netze allein besitzen und betreiben, sei kaum zu erfüllen, heißt es. „Die Bundesnetzagentur verlangt von Netzbetreibern ein großes Maß an Erfahrung, die neue Stadtwerke nicht vorweisen können“, ist im Rathaus zu hören.
Mehr Geld für das Wassernetz
Auch die Verhandlungen zwischen Stadt und EnBW über den Rückkauf des Wassernetzes und der Bezugsrechte für Bodensee- und Landeswasser verlaufen „kompliziert“. Der Energiekonzern soll inzwischen viel mehr Geld für das noch 2010 gemeinsam mit der Stadt auf rund 160 Millionen Euro geschätzte Stuttgarter Wassernetz verlangen. Außerdem beanspruchten die Konzernstrategen auch noch Sondernutzungsrechte, um Großkunden, etwa US-Stützpunkte im Land, weiterhin selbst mit Wasser versorgen zu können. Die Stadt plant, den Eigenbetrieb Stadtentwässerung bis 2014 zu den Kommunalen Wasserwerken Stuttgart (KWS) zu erweitern.
Orginallink: Stuttgarter Zeitung vom 24.01.2012
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Stadtwerke Stuttgart
Das Ziel muss sein: günstiger Preis und grüner Strom
Von Thomas Faltin
Stuttgart - Die Diskussion um die inhaltliche Ausrichtung der neuen Stadtwerke Stuttgart nimmt Fahrt auf – am Dienstag hat der Aufsichtsrat darüber beraten, mit welchem Öko-Partner man zusammenarbeiten und wie Stuttgart in die Erzeugung grünen Stroms einsteigen könnte. Ein Blick in andere Großstädte Deutschlands könnte dabei durchaus zu interessanten Erkenntnissen führen. Denn fast überall ist man Stuttgart um Jahre voraus und hat bereits Erfahrungen mit neuen Konzepten gemacht. Gerade in Hamburg gibt es verblüffende Parallelen zur Situation in Stuttgart.
Vergleicht man die jeweiligen Platzhirsche unter den Stromversorgern in den zehn größten Städte, so ist zunächst sehr auffallend: Fast überall hat die Liberalisierung des Strommarktes in den 1990er Jahren tiefe Spuren hinterlassen. In Hamburg, Berlin und Stuttgart haben die Städte ihre Anteile an Elektrizitätswerken an die großen Konzerne Vattenfall oder EnBW verkauft; andere Städte, wie Düsseldorf, haben einen großen Gesellschafter ins Boot geholt. So kommt es, dass letztlich nur noch vier der zehn Großstädte Deutschlands zumindest die Mehrheit der Anteile am Strom-Grundversorger halten: München, Köln, Frankfurt und Dortmund. Als „Stadtwerke“ firmieren sogar nur noch München und Düsseldorf, wobei letzteres eine Mogelpackung ist, weil in Düsseldorf die EnBW die Mehrheit der Anteile hält.
München ist kommunaler Spitzenreiter in Deutschland
Stuttgart schaut ja höchst ungern nach München, aber in diesem Fall muss man einfach neidvoll den Blick nach Bayern wenden. Dort hat man sich in den aufgeregten Zeiten der Liberalisierung, als alle Welt den Niedergang der Stadtwerke beschwor, nicht kirre machen lassen: „Als andere verkauft haben, haben wir ausgebaut“, erinnert sich Kurt Mühlhäuser, der Vorsitzende der Geschäftsführung. Das Ergebnis: Die Münchner zahlen den zweitniedrigsten Preis für ihren Strom unter allen zehn betrachteten Großstädten, und längst wird dort kein Atomstrom mehr eingespeist.
Mehr noch: Die Stadtwerke haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 den gesamten Münchener Bedarf an grünem Strom selbst herzustellen. Neun Milliarden Euro werden dafür investiert, doppelt so viel wie Stuttgart 21 kostet. In typischer „Mia san mia“-Mentalität spricht Mühlhäuser deshalb von einer „weltweit einzigartigen Ausbauoffensive im Bereich der erneuerbaren Energien“. Da zu den Stadtwerken auch die Verkehrsbetriebe und die 18 Bäder gehören, arbeiten 7300 Menschen im Betrieb – es ist das größte kommunale Unternehmen in Deutschland. 2010 hat es rund 556 Millionen Euro Gewinn gemacht. Davon können die neuen Stuttgarter Stadtwerke nur träumen. Dort ist in den ersten Jahren mit Verlusten zu rechnen.
Preise müssen in Stuttgart fallen
Aus Kundensicht dürfte aber die Entscheidung Stuttgarts, die Stromversorgung wieder selbst in die Hand zu nehmen, richtig sein. Denn ein Blick in die Großstädte lehrt zweierlei. Erstens sind fast alle kommunalen Versorger günstiger als die privaten Konzerne. Der teuerste Grundversorger ist die RWE in Essen, wo eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden 913,33 Euro bezahlt; am günstigsten ist Dortmund mit 782,95 Euro, wo die Stadt die Mehrheit am Energieunternehmen besitzt. Stuttgart liegt beim Preis, nur nebenbei, an neunter Stelle. Ein Ziel der Stadtwerke muss aus Kundensicht also auf jeden Fall sein, den Strom günstiger zu machen.
Zweitens haben die kommunalen Anbieter in den Großstädten energiepolitisch die Nase vor. In München, Dortmund und Frankfurt liegt der Anteil der erneuerbaren Energien beim Strommix zwischen 35 und 38 Prozent, die Kernkraft spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Das liegt vor allem daran, dass die kommunalen Versorger selbst in die Energieerzeugung eingestiegen sind – man kann Stuttgart also nur raten, dem schnell nachzueifern. Die EnBW in Stuttgart ist dagegen in geradezu erschreckendem Ausmaß ein energiepolitischer Dinosaurier: 42 Prozent Atomstrom, das gibt es in keiner anderen Großstadt Deutschlands mehr. Allerdings muss man hinzufügen: Auch alle privaten Konzerne haben sich mittlerweile auf den Weg gemacht zu mehr grünem Strom – das politisch gewollte Ende der Kernenergie ließ ihnen auch keine andere Wahl.
Alle Städte mit kommunalem Versorger machen Gewinn
Ein Blick in die anderen Städte offenbart außerdem, dass kommunal dominierte Versorger weiter auch wirtschaftlich attraktiv sind. Renditen zwischen fünf und zehn Prozent sind die Regel – das Geld füllt zumindest indirekt die Stadtkasse. Die Konkurrenz wächst aber. Martina Sprotte, die Sprecherin des Dortmunder Versorgers DEW21, betont deshalb, dass der Versorger sich weiterentwickeln muss – es gehe darum, Strom auch außerhalb Dortmunds anzubieten, das Portfolio zu erweitern und noch besseren Service zu offerieren: „Dann wird sich zeigen, ob unsere Gewinne wirklich maßgeblich sinken werden.“
Übrigens gibt es in Dortmund gerade eine interessante Entwicklung: Ende 2014 läuft der Gesellschaftervertrag aus, und viele Bürger würden die RWE mit ihren 47 Prozent am liebsten auszahlen. Martina Sprotte kontert: Der Gesellschafter RWE habe es bei der Gründung der DEW21 ermöglicht, Strom, Gas, Wasser und Fernwärme aus einer Hand anzubieten – und die Partnerschaft halte beispielsweise auch den Bauaufwand in Dortmund in Grenzen.
Hamburg Energie hat mittlerweile 60 000 Kunden
Am aufschlussreichsten ist aber der direkte Vergleich mit Hamburg. Dort hatte der Senat seine Anteile an den Hamburger Electricitäts-Werken im Jahr 2002 an den Stromriesen Vattenfall verkauft, so wie Stuttgart 1999 seine Anteile an die EnBW für insgesamt 2,35 Milliarden Euro. In Hamburg hat man den gewaltigen Fehler aber viel früher erkannt und deshalb schon 2009 die Hamburg Energie GmbH gegründet. Vattenfall, der Geschäftspartner von damals, ist jetzt der härteste Konkurrent.
So könnte es zwischen den Stadtwerken Stuttgart und der EnBW auch bald kommen. Hamburg Energie ist zu 100 Prozent ein kommunales Unternehmen und bietet ausschließlich Öko-Strom an, und das zu einem fast sensationell günstigen Preis, nämlich 3500 kWh für 805,78 Euro. Hamburg Energie ist damit mit dem grünen Strom noch um 70 Euro günstiger als Vattenfall mit dem normalen Strom.
Mittlerweile hat die Hamburg Energie laut ihrem Sprecher Carsten Roth 60 000 Kunden – mehr als die Gutachter vor der Gründung prognostiziert hatten. Roth begründet den Erfolg damit, dass sein Unternehmen bewusst gute Stromangebote mache und gleichzeitig ein bodenständiges und in Hamburg verwurzeltes Unternehmen sei. Das ehrgeizige Ziel ist es, 2012, im dritten Geschäftsjahr, erstmals schwarze Zahlen zu schreiben: „Wir können das schaffen, denn bisher sind alle unsere Erwartungen in allen Bereichen übertroffen worden“, sagt Roth.
Ziel ist die eigene Produktion von grünem Strom
Auch die Hamburg Energie ist von Anfang an in die Stromerzeugung eingestiegen und betreibt derzeit 20 Photovoltaikanlagen mit 20 Megawatt Leistung, drei Windkraftanlagen und mehrere Blockheizkraftwerke. „Wir wollten von Anfang die erneuerbaren Energien in Gang bringen. Das geht nur, wenn man den Strom selbst produziert“, sagt Roth.
Bei aller Euphorie ist aber auch klar: Vattenfall besitzt noch immer einen Marktanteil von 80 Prozent in Hamburg, denn die Bereitschaft zu wechseln ist bei vielen Menschen trotz der Liberalisierung des Strommarktes weiter gering. Münchener Verhältnisse wird es in Stuttgart deshalb wohl nie mehr geben – diese Chance ist endgültig vertan. Doch ein günstiger Preis, möglichst viel grüner Strom und gute Serviceleistungen könnte der Wechselwilligkeit Flügel verleihen. Das sollten sich die Stadtwerke ins Gründungsbuch schreiben. Schon im Sommer wollen sie beginnen, die Stuttgarter zu bezirzen. Man darf auf das Angebot gespannt sein.
Orginallink: Stuttgarter Zeitung vom 25.01.2012