TAZ, 11.12.06

> Stromkonzern trickst bei Atomausstieg
> EnBW wird voraussichtlich noch in dieser Woche für sein Atomkraftwerk Neckarwestheim eine längere Laufzeit beantragen.

Der zuständige Staatssekretär Michel Müller (SPD) sieht darin einen
"Verstoß gegen den Geist des Gesetzes zum Atomausstieg"

VON TARIK AHMIA

Die deutschen Stromkonzerne sägen weiter am Atomausstieg. Der
Stromkonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) wird nach taz-Informationen
noch in dieser Woche beim Bundesumweltministerium eine länge Laufzeit für
seine Atommeiler Neckarwestheim I beantragen, als dies die Planung
vorsieht.

Eigentlich sollte das 30 Jahre alte Kraftwerk ab 2009 vom Netz gehen. So
jedenfalls sieht es die Vereinbarung zum Atomausstieg der Bundesregierung
vor. Wenn es nach den Wünschen des Konzerns geht, soll das Ende um einige
Jahre nach hinten verschoben werden, indem ein Teil der Strommenge eines
neueren Kraftwerks auf das alte Kraftwerk übertragen wird. Das Vorgehen
ist jedoch rechtlich umstritten, weil Strommengen laut Atomgesetz nur in
eng definierten Ausnahmesituationen von neueren auf ältere Kraftwerke
übertragen werden dürfen. Die Bedingungen dafür sind aus Sicht der SPD im
Bundestag nicht gegeben.

"Der Antrag wird mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt", sagte Ulrich
Kelber, umweltpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, der taz. "Es
dürfte schwierig zu begründen sein, ein neues Kraftwerk kürzer laufen zu
lassen, um unsicherere ältere Kraftwerke weiter zu betreiben", so Kelber.

Auch der zuständige Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael
Müller (SPD), sagte der taz: "Die Übertragung von Strommengen auf alte
Atomkraftwerke ist ein eindeutiger Verstoß gegen den Geist des
Ausstiegsgesetzes."

Zuständig für die Prüfung des Antrages ist zunächst allein
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und sein Ministerium. "Sollten
etwa Sicherheitsgründe gegen einen weiteren Betrieb der alten Reaktoren
sprechen, könnte das Bundesumweltministerium allein die Anträge
ablehnen", sagte Müller. Das Kalkül der Stromkonzerne ist jedoch klar:
Wenn sie die Abschaltung der Atommeiler bis in die nächste
Legislaturperiode verschleppen können, wahren sie die Chance, dass der
Beschluss zum Atomausstieg möglicherweise noch ganz kippt.

Große Hoffnungen sollten sich die Konzerne jedoch nicht machen. "Einen
Wiedereinstieg in die Atomenergie wird es mit der SPD nicht geben", sagte
Ulrich Kelber.

Der Antrag von EnBW kommt nicht überraschend. Die vier
marktbeherrschenden Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW hatten
bereits im September angekündigt, insgesamt für vier Atomkraftwerke, die
in dieser Legislaturperiode vom Netz gehen sollen, längere
Betriebsgenehmigungen zu beantragen. Das Atomgesetz aus dem Jahr 2000
macht die Restlaufzeit jedes Atomkraftwerkes in Deutschland von einer
produzierten Elektrizitätsmenge abhängig. RWE hatte im September erstmals
für sein Kraftwerk Biblis A, das etwa Mitte 2007 abgeschaltet werden
soll, eine längere Laufzeit beantragt. Dafür will RWE einen Teil der
Reststrommenge des stillgelegten Atommeilers Mühlheim-Kärlich auf Biblis
A übertragen. Dessen Betriebsgenehmigung könnte sich dadurch bis 2011
verlängern.

Zeitgleich mit dem RWE-Antrag hatte EnBW angekündigt, "im vierten
Quartal" einen ähnlichen Antrag für Neckarwestheim zu stellen. EnBW
wollte gestern auf Nachfrage der taz zu konkreten Terminen keine Stellung
nehmen: "Das ist und bleibt Spekulation", sagte EnBW-Sprecher Dirk
Ommeln. "Wir werden allerdings noch in diesem Jahr zu einem geeigneten
Zeitpunkt einen Antrag für Neckarwestheim stellen." Von welchen Faktoren
der geeignete Zeitpunkt abhängt, wollte Ommeln nicht verraten. Sicher
ist, dass EnBW dafür noch 20 Tage Zeit hat.

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BEI DEN AKW-LAUFZEITEN SPIELEN DIE ENERGIEVERSORGER AUF ZEIT

> Auch Teilsiege bringen Bares

Der Stromkonzern EnBW wird diese Woche einen Antrag stellen, damit er
sein Atomkraftwerk in Neckarwestheim länger betreiben kann, als es das
Atomgesetz erlaubt. Das kann keiner verbieten. Finanziell bringt ein
Weiterbetrieb alter AKWs dreistellige Millionenbeträge pro Jahr.
Allerdings dürfte EnBW derzeit wenig Aussichten auf Erfolg haben. Denn
die zuständige Fachbehörde ist das Bundesumweltministerium unter Sigmar
Gabriel.

Der wiederum hat seine politische Zukunft mit einer harten Haltung
gegenüber den Stromkonzernen verknüpft. Fachliche Gründe gegen eine
Verlängerung des Betriebs alter AKWs gibt es sowieso genug. Schließlich
ermüdet das Material in einem solchen Kraftwerk noch stärker als in einem
konventionellen. Eine längere Laufzeit könnte also nur über Hinterzimmer
und Spendenkonten erreicht werden. Aber dabei scheint der Preis für die
SPD derzeit zu hoch: Der Umweltflügel würde sich ebenso lächerlich machen
wie die Linken.

Diese Lage würde sich schlagartig ändern, wenn die große Koalition
zerfiele - und die Union mit der FDP regieren würde. Die Stromkonzerne
werden daher weitere Anträge für ihre ältesten AKWs stellen - und auf
bessere Zeiten hoffen. Denn einerseits geht es um viel Geld. Und
andererseits hat die Energiewirtschaft derzeit einen Mehrfrontenkampf am
Hals. Immer weniger Verbraucher sind gewillt, die Strompreise der großen
Versorger zu zahlen. Und auch Mittelstand und Industrie sind es leid,
überhöhte Kalkulationen der Monopol- oder Oligopolgewinnler hinzunehmen.
Zudem kämpfen die Kraftwerksbetreiber auch noch beim Klimaschutz um ihre
geschenkten Kohlendioxidemissionen bei den Kohleblöcken. Schon deshalb
müssen sie immer neue Geschütze in Stellung bringen, um am Ende
vielleicht doch den ein
oder anderen Teilsieg zu erringen.

Die Genehmigungsbehörden sollten jeden einzelnen ungerechtfertigten
Antrag ablehnen. Allerdings funktioniert Politik immer mit einem gewissen
Geben und Nehmen. Die Öffentlichkeit wird wohl noch in dieser Wahlperiode
erfahren, wie das Ringen ausgeht. REINER METZGER

taz vom 11.12.2006, S. 11, 46 Z. (Kommentar), REINER METZGER



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