Stuttgarter Zeitung, 19.12.06
EnBW bezahlt für Spickzettel
> Provokation
Von Andreas Müller
Utz Claassen führt sich ganzjährig auf wie der Weihnachtsmann. Mit einem
prall gefüllten Sack voller Gaben zieht der EnBW-Chef durch die Lande und
tut Gutes. Warm regnet das Geld des Stromkonzerns auf die dankbaren
Empfänger herab: Sport, Kultur, Wissenschaft, Soziales - alle möglichen
Bereiche profitieren von seiner Großzügigkeit.
Nun, wenige Tage vor dem Fest, hat der Weihnachtsmann Claassen ein
besonders dickes Präsent verteilt. Die EnBW spendiert mal eben eine
Million Euro für die gewiss löbliche Kinderhilfsaktion eines
Boulevardblatts - und bekommt dafür ein zerknittertes und
schweißgetränktes Blatt Papier. Es ist der Spickzettel des WM-Torhüters
Jens Lehmann, den der Karlsruher Energieversorger ersteigert hat, um ihn
als Zeitdokument dem Haus der Geschichte zu überlassen.
Doch der symbolträchtige Zettel war nicht der einzige Gegenwert für die
Million. Als Lohn erhielten Claassen und ein Vorstandskollege einen
Fernsehauftritt zur besten Sendezeit: Vor einem Millionenpublikum durften
sie sich und ihr Unternehmen bei der großen Gala in Szene setzen. Clever
gemacht, könnte man da sagen: der gleiche Werbeeffekt hätte mit regulärer
Reklame vielleicht noch teurer erkauft werden müssen.
Clever? Nein, die Aktion ist alles andere als klug. Wenn Claassen das
Geld von seinem privaten Millioneneinkommen abgezwackt hätte, verdiente
das größte Hochachtung. Aber es ist letztlich das Geld der Stromkunden,
mit dem sich der EnBW-Chef als Wohltäter geriert. Und die ärgern sich
angesichts ständig steigender Strompreise schon länger über die
Großzügigkeit zu ihren Lasten, wie die zunehmend gereizten Reaktionen auf
das Sponsoring zeigen. Die Million für Lehmanns WM-Zettel müssen sie da
als pure Provokation, ja fast als Verhöhnung empfinden. Claassen scheint
dafür in seinem ungezügelten Geltungsdrang kein Gespür mehr zu haben.
Seine Mitarbeiter aber haben es sehr wohl: Bis weit ins Unternehmen
hinein herrscht Kopfschütteln über den jüngsten Coup: Wie, sorgen sich
EnBW-Leute zu Recht, solle man das den geplagten Kunden erklären?
Auf den Weihnachtsmann Claassen wartet derweil schon der nächste
Hilfsbedürftige. Ministerpräsident Oettinger sucht bekanntlich Spender,
die badische Kulturgüter für das Land sichern helfen. Wenn der EnBW schon
Jens Lehmanns Notizen eine Million wert sind, könnte sie für alte
Handschriften ja noch mehr Geld lockermachen. Oder?
> EnBW rechtfertigt Millionenspende
STUTTGART (mül). Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) wehrt sich gegen
Kritik an ihrem Engagement für die Hilfsaktion "Ein Herz für Kinder". Die
Ersteigerung eines Zettels des Nationaltorhüters Jens Lehmann für eine
Million Euro sei "nur das publizistische Vehikel" gewesen, um die Aktion
der "Bild"-Zeitung zu unterstützen, sagte ein Unternehmenssprecher der
Stuttgarter Zeitung. Es handle sich also "im Kern um eine Sponsoring-
Entscheidung, die in diesem besonderen Fall der Vorstand der EnBW in
Gestalt eines gesonderten, förmlichen Vorstandsbeschlusses getroffen
hat". Grundlage dafür sei die Unternehmensethik der EnBW, "zu der
maßgeblich auch die Wahrnehmung sozialer Verantwortung zählt". Mit der
Aktion habe man noch einmal an die "wundervollen Erlebnisse der Fußball-
WM" erinnert, die der Konzern als nationaler Förderer unterstützt hatte.
Die Grünen im Landtag hatten das Engagement angesichts der hohen
Strompreise kritisiert. Diese seien seit dem Jahr 2000 um 45 Prozent
gestiegen, sagte der Abgeordnete Franz Untersteller. Da wundere es nicht,
dass man "plötzlich eine Million Euro übrig hat, um Spickzettel von
Torhütern zu ersteigern".
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