Frankfurter Rundschau, 30.06.2010

> AKW-Betreibertricks
> Erstaunlich hoher Eigenbedarf

Der Atommeiler Neckarwestheim I verbraucht den produzierten Strom zu einem guten Teil
selbst. Mit einer reduzierten Produktion wollen sich die Betreiber über den eigentlichen
Abschalttermin retten und noch lange Millionen kassieren.

Von Gabriele Renz

Der Streit um eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist längst nicht entschieden. Die
Politik versucht den Energiekonzernen einen Teil der Gewinne abzuringen, die sie aus dem
Betrieb längst abgeschriebener Meiler erwirtschaften. Solange nichts in trockenen Tüchern
ist, spielt auch der Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) auf Zeit. Das
Gemeinschaftskraftwerk Neckarwestheim I (GKN I), das seit 1976 am Netz ist und nach dem
Atomausstiegsgesetz eigentlich hätte in diesem Jahr vom Netz gehen sollen, wurde im März
auf eine Leistung unter 25 Prozent gedrosselt, um die vom Ausstiegsgesetz festgelegte
Reststrommenge offenbar nicht zu eilig fertig zu produzieren.

Laut Bundesamt für Strahlenschutz waren es im März 2010 155,2 Gigawattstunden
Nettostromerzeugung, "brutto" aber 191 GWh. Der Grünen-Politiker Franz Untersteller hat
herausgefunden: Die Differenz braucht der Meiler für sich selbst. "Fast 20 Prozent der pro
Monat produzierte Strommenge muss dafür herhalten, den Altreaktor am Leben zu erhalten",
empört sich der Vize-Fraktionschef der Grünen im Landtag. Seine Quelle ist - unverdächtig
der Parteinahme - das Bundesamt für Strahlenschutz. Der Betreiber des hessischen Meilers
Biblis A, RWE, verfährt übrigens ähnlich.

Neckarwestheim I benötigt also 36 Millionen Kilowattstunden pro Monat selbst, um seinen
eigenen Betrieb am Laufen zu halten. Untersteller macht aber eine kleine Rechnung auf:
Lege man den Jahresverbrauch einer vierköpfigen Familie von rund 4000 Kilowattstunden zu
Grunde, entspreche der Eigenbedarf des Meilers GKN I dem Stromverbrauch von 100 000
Vier-Personen-Haushalten. "Gegenüber dieser Stromerzeugungspraxis war die "Schwarze
Pumpe", das Braunkohle verarbeitete, in der DDR im Hinblick auf die Energieeffizienz
geradezu ein Musterbetrieb", lästert der Parlamentarier.

Konzerne spielen auf Risiko, riskieren ein Eigentor

Doch die Energiekonzerne scheinen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein. Sie bauen auf das
Versprechen von CDU und FDP, das Atomausstiegsgesetz zu kippen. Hohe
Eigenbetriebskosten nehmen sie offenbar gern in Kauf - wenn sie letztlich noch zehn Jahre
oder länger Strom produzieren dürfen.

Schon als die EnBW Neckarwestheim im März drosselte, vermutete die Grünen-
Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl: "Offensichtlich sind die erhofften Gewinne so
enorm, dass es sich lohnt, über Monate hinweg Mindereinnahmen aus einem gedrosselten
Betrieb zu verschmerzen."

Energiepolitisch schieße die EnBW damit aber ein Eigentor: Die Drosselung beweise doch
nur, dass der Atomstrom aus Neckarwestheim zur Stromversorgung überhaupt nicht
gebraucht werde. Regierungschef Stefan Mappus (CDU) hält nach wie vor eine Abschaltung
für "inakzeptabel". Bis zur Vorlage eines energiepolitischen Gesamtkonzeptes im Herbst
2010 "bleibt Neckarwestheim am Netz".

In einem "Strategiepapier", das der frühere Ministerpräsident Günther Oettinger gemeinsam
mit seinem Kollegen Roland Koch (beide CDU) im Herbst 2009 an die Kanzlerin als
Argumentationshilfe geschickt hatte, werden die Nettoerlöse pro Altanlage und Jahr auf 400
bis 800 Millionen Euro vor Steuern geschätzt.

Eine Drosselung, heißt es darin, sei nur als "Ultima ratio", also allerletzte Möglichkeit ins
Auge zu fassen, "um den Zeitpunkt des Inkrafttretens eines anderen Atomgesetzes zu
erreichen." Das 25 Seiten umfassende Papier lese sich "wie ein Drehbuch zur Aushebelung
des gesetzlich verankerten Atomausstiegs", findet Untersteller und wundert sich, warum die
Bundesregierung die Betreiber nicht wenigstens stärker zur Kasse bittet.

Eine Brennelementesteuer als Gegengeschäft für eine Laufzeitverlängerung, so auch
Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann im Landtag, sei unzulässig. Die Steuer ist
sowieso überfällig: "Sie hat ihren Grund darin, dass die Atomwirtschaft endlich dazu
herangezogen wird, die Schäden, die sie jetzt schon abgerichtet hat, auszugleichen: Zwei
Milliarden Euro in Morsleben, zwei bis drei Milliarden in Asse, bis zu vier Milliarden in der
Karlsruher Wiederaufbereitungsanlage."

Mappus versprach, sich "unideologisch" für eine längere Übergangszeit des Atom-Ausstiegs
in Berlin stark zu machen, die "ökonomisch sinnvoll" und "für die Verbraucher bezahlbar" sei.
Für Untersteller ein Hohn: Während die Bürger in erneuerbaren Wärmegesetzen zum
Energiesparen gezwungen würden, verschwende die EnBW Strom aus taktsichen Gründen.

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2802227_AKW-Tricks-Enormer-
Eigenbedarf.html

---

Frankfurter Rundschau, 30.06.2010

> Laufzeitverlängerung
> Experten sehen Biblis vor dem Aus

Wiesbaden. Die Atomreaktoren im südhessischen Biblis müssen vom Netz - auch wenn die
Bundesregierung die Laufzeiten der deutschen AKWs verlängert. Davon gehen Experten
aus, die an der Ausarbeitung des Atomkonsenses von 2000 beteiligt waren. Der Grund: Auf
den Betreiber RWE kämen bei einer Laufzeitverlängerung derart teure
Nachrüstungsauflagen zu, dass es sich wirtschaftlich nicht lohnen würde, sie zu erfüllen.

Der ehemalige Chef der Atomaufsicht im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg,
listete am Mittwoch bei einer Veranstaltung der SPD in Wiesbaden schwerwiegende
Probleme in Biblis auf, die vor einer Laufzeitverlängerung behoben werden müssten. Die
Blöcke A und B seien nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze gesichert, es fehle eine
externe Notstandswarte und die Sicherheitssysteme im AKW seien nicht unabhängig
voneinander.

Zudem könnten in dem älteren Block Biblis A, der bereits seit 1974 am Netz ist, bei einem
Loch in einer Wasserleitung so druckvolle Strahlen herausspritzen, dass dadurch wichtige
Teile des Kraftwerks beschädigt werden könnten. Um dies zu verhindern, "müsste man das
ganze Design der Anlage ändern", sagte Renneberg. Das wäre "ein Riesenprojekt", auch von
den Kosten her.

Der Physiker und Jurist Renneberg sagte, derartige Auflagen habe die Behörde nur deshalb
im Jahr 2000 nicht erlassen, "weil die Restlaufzeit 2007 endete". Damals wäre es etwa
"unverhältnismäßig" gewesen, den Bau eines Notstandssystems anzuordnen, das ohnehin
nicht vor 2005 hätte fertig werden können. Dies wäre bei einer Verlängerung der Laufzeiten
aber völlig anders.

"Es müssen da Nachrüstungen erfolgen", betonte Renneberg. Entsprechende Auflagen
wären auch rechtlich problemlos, urteilte der Experte. "Eine Laufzeitverlängerung ist so
etwas wie eine Neugenehmigung", sagte er.

Die Auflagen dürften dabei noch über jene Punkte hinausgehen, die bereits im Jahr 2000
erwogen worden waren, erläuterte der Kasseler Jura-Professor Alexander Roßnagel. Das
Atomgesetz schreibe vor, dass die Bedingungen dem jeweils aktuellen Stand von Sicherheit
und Technik entsprechen müssten. "Hinter diesen Stand kann der Gesetzgeber nicht
zurückgehen", sagte Roßnagel.

Der frühere Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommission, Lothar Hahn, argumentierte
ähnlich. "Ein verlängerter Betrieb kann nur gedacht werden, wenn es zu erheblichen
sicherheitstechnischen Verbesserungen kommt", hob der Physiker Hahn hervor.

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2802811_Laufzeitverlaengerung-
Experten-sehen-Biblis-vor-dem-Aus.html

*****
Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
Info-tel 07141 / 903363
http://neckarwestheim.antiatom.net



x ------------ X -----------
x mailinglist des
x Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
x http://neckarwestheim.antiatom.net
x aus-/eintragen: Mail an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
x ohne Subject, im Text: un-/subscribe abc