Verhandlung wegen Einträgen in die "AD/PMK – Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität"
Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart fand am 4.10. der erste Klagetermin wegen der rechtswidrigen Speicherung von Personendaten in der politischen Straftäterdatei "AD/PMK – Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität" durch das LKA statt.
Ein Atomkraftgegner im Aktionsbündnis hatte gegen die verweigerte Datenauskunft und zu Unrecht vorgenommenen Datenspeicherungen in der politischen Straftäterdatei geklagt - war er doch noch nie wegen einer Straftat verurteilt worden.
Ein Urteil erging bei diesem Gerichtstermin noch nicht.
Im Artikel findet Ihr zwei ausführliche Presse-Berichte zur Verhandlung. Hier im Rückblick die Ankündigung zum Termin.
Ludwigsburger Kreiszeitung, 05.10.11
NECKARWESTHEIM
Atomkraftgegner klagt gegen die Polizei
Darf die Polizei in ihrer „Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität“ personenbezogene Daten von Atomkraftgegnern speichern, obwohl diese nie straffällig geworden sind? Dem Neckarwestheim-Aktivisten W. ist dies passiert. Jetzt klagt er deswegen vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart. Doch es scheint, als werde das Gericht keine Antwort auf die datenschutzrechtliche Gretchenfrage geben.
Denn wie das Landeskriminalamt (LKA) dem Gericht erst wenige Tage vor der gestrigen Verhandlung mitteilte, hat es die meisten der umstrittenen Einträge inzwischen gelöscht. Unabhängig davon, ob die Datenspeicherung rechtens erfolgte oder nicht, sei den Einwänden des Atomkraftgegners damit faktisch „abgeholfen“, so der Vorsitzende Richter Proske.
Ähnlich war das LKA bereits Anfang 2008 verfahren, als W. – ein Protagonist des Aktionsbündnisses Castor-Widerstand Neckarwestheim – beim damaligen Landesdatenschutzbeauftragten Peter Zimmermann Hilfe gesucht hatte: Dieser hatte Parallelen zu ähnlichen Fällen gesehen und den sorglosen Umgang der Polizei mit Auflagen des Datenschutzes massiv kritisiert, doch untersagt ihm das LKA mit dem Hinweis auf die Erfordernisse der „polizeilichen Aufgabenerfüllung“, W. nähere Auskunft über die gespeicherten Daten zu geben – um diese kurz darauf teilweise zu löschen (wir berichteten).
Für W. ist die Sache aber auch mit der jetzigen Löschung von weiteren insgesamt 14 Einträgen, die der Staatsschutz seit 1999 über ihn angelegt hatte, keineswegs vom Tisch: Er sieht sich zu Unrecht kriminalisiert und will nun feststellen lassen, dass sowohl seine polizeiliche Einstufung als „Überzeugungstäter“ als auch die „Erfassung und Speicherung“ von Handlungen, die – wie die einfache Teilnahme an Demonstrationen – durch die bürgerlichen Freiheitsrechte gedeckt sind, gegen das Datenschutzgesetz verstießen.
Richter Proske verriet in der mündlichen Verhandlung jedoch wenig Neigung, die Speicherung der inzwischen gelöschten Daten auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Zwar halte er W.s Anliegen für „nachvollziehbar“ und seine Einstufung als „Überzeugungstäter“ für „fragwürdig“. Doch für ein nachträgliches Aufrollen der insgesamt 14 Fälle gebe es hohe rechtliche Hürden: So etwas sei nur vorgesehen, um erstens der Gefahr eventueller Wiederholungstaten der Polizei vorzubeugen, um zweitens W. nach einer eventuellen öffentlichen Diskriminierung zu rehabilitieren und um drittens einen „erheblichen“ polizeilichen Eingriff in W.s Rechte zu ahnden. Alle drei Bedingungen seien nach einer ersten Einschätzung des Gerichts aber nicht erfüllt.
W. und sein Anwalt sehen das ganz anders. Denn der Staatsschutz hatte in der Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität beispielsweise auch gespeichert, dass W. am Rande von Aktionen von Atomkraftgegnern in Personenkontrollen geriet, dass er eine Demonstration angemeldet hatte oder an einem Infostand mitwirkte. Anders als Richter Proske in seiner ersten Einlassung sehen W. und sein Anwalt die Wiederholungsgefahr daher als durchaus gegeben an – und sie betrachten seine Einstufung als „Überzeugungstäter“ auch als durchaus diskriminierend.
Zwei Einträge über W. bleiben übrigens ohnehin vorerst in der Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität stehen, auch wenn ihr Inhalt W. eben nicht als Straftäter ausweist: Beide Male wurde wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Versammlungsgesetz gegen ihn ermittelt – und beide Ermittlungsverfahren gegen ihn wurden später eingestellt. Es ging jeweils um die polizeiliche Anmeldung von Anti-AKW-Aktionen in Neckarwestheim, als deren „Veranstalter“ ihn die Ermittler zunächst ausgemacht hatten. Dazu, meint W., sei es wohl nur gekommen, weil ihn die Polizei in ihren Dateien längst als „Überzeugungstäter“ führte.
Ein Urteil erging gestern noch nicht, es wird den Parteien schriftlich zugestellt. Sollte er unterliegen, will W. die nächste Instanz anrufen.
Steffen Pross
Stuttgarter Zeitung, 05.10.11
AKW-Gegner kämpft gegen Ermittler
Gericht: Das LKA muss die Daten eines Aktivisten aus einer Kartei löschen
Von Christine Bilger
Ein Atomkraftgegner hat sich - aus seiner Sicht zu Unrecht - in einer Datei des Landeskriminalamts (LKA) geführt gefunden. Dagegen ist er gerichtlich vorgegangen. In der Verhandlung vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht kam gestern heraus, dass die Ermittler des Landeskriminalamts die gespeicherten Erkenntnisse über den Stuttgarter mittlerweile gelöscht hatten. Nur zwei Einträge waren übrig. Diese sollen nun auch noch getilgt werden, so der Wunsch des Klägers. Ins Visier der Fahnder war das Mitglied des Aktionsbündnisses Castorwiderstand Neckarwestheim geraten, weil er an Demonstrationen rund um das Atomkraftwerk teilgenommen und diese zum Teil auch veranstaltet haben soll. Gegen den Stuttgarter wurde wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht ermittelt. Dadurch geriet er in die Arbeitsdatei politisch motivierter Kriminalität des LKA.
Das Löschen reicht dem Kläger nicht
Der Streit über die Daten dauerte mehr als drei Jahre. Kurz vor der gestrigen Verhandlung hatte der Anwalt des Atomkraftgegners in der vergangenen Woche die Mitteilung bekommen, dass die meisten Einträge nun gelöscht seien. Lediglich Vorfälle bei zwei Veranstaltungen, an denen der Kläger teilgenommen hatte, stünden noch darin: ein sogenannter Sonntagsspaziergang in die Nähe des Meilers im Jahr 2007 und eine „Geburtstagsfeier", ein Protestbesuch zum 20-jährigen Bestehen des Atomkraftwerks Neckarwestheim im Jahr 2009.
Diese zwei Einträge, so beantragte es der Anwalt des Klägers, sollen nun auch getilgt werden. Nach Möglichkeit soll der Antrag auch für andere Polizeidateien gelten, in denen sein Mandant geführt werde.
Mit dem Löschen allein gab sich der Atomkraftgegner aber noch nicht zufrieden. Er wollte noch mehr erreichen, nämlich, dass die Ermittlungsbehörde im Nachhinein eingestehen müsste, die Speicherung sei rechtswidrig gewesen. Darauf beharrte sein Rechtsanwalt. Der Verwaltungsrichter machte den beiden für dieses Ansinnen wenig Hoffnung. Es gebe feste Kriterien für einen solchen Vorgang. Eines davon sei das Recht des Klägers auf Rehabilitierung. Im Rechtsgespräch machte der Richter deutlich, dass er dieses Kriterium nicht erfüllt sehe. Die Datei sei nur für den Polizeigebrauch bestimmt, es sei dem Kläger also keine öffentliche Ehrverletzung widerfahren. Die Gefahr der Wiederholung einer sah der Richter nicht als gegeben, da dazu das gleiche Ereignis wieder stattfinden müsste. „Von der Erklärung hätten sie doch nichts, außer der persönlichen Genugtuung", sagte der Richter. Letztlich einigten sich die Parteien auf eine Erledigungserklärung für die gelöschten Einträge. Bei den zwei noch bestehenden will der Kläger die Rechtswidrigkeit feststellen lassen.
Richter gibt LKA einen Rat mit
Dem Landeskriminalamt gab der Vorsitzende Richter am Rande einen Rat mit auf den Weg. Man möge doch erwägen, die Formulare zu überarbeiten. Auf dem für die Verhandlung vorgelegten Papier habe er Kästchen entdeckt, die zur Klassifizierung der Beschuldigten diene. „Da heißt es politischer Überzeugungstäter oder Sexualstraftäter. Das ist natürlich nicht gut. Wenn sie ermitteln, dann handelt es sich allenfalls um Verdächtige", so der Richter.
Das Urteil wird binnen zweier Wochen an die beiden Parteien geschickt.