Ludwigsburger Kreiszeitung, 01.12.06

> Kernkraftgegner: Längere Laufzeit von GKN I atomrechtlich unmöglich

Bürgerinitiativen legen im Streit um Materialproben nach - Betreiber-
Konzern EnBW spricht von "großen Sicherheitsreserven"

NECKARWESTHEIM Nach Ansicht von Atomkraftgegnern ist die von Betreiber
EnBW beabsichtigte Verlängerung der Laufzeit des älteren Reaktorblocks im
Atomkraftwerk Neckarwestheim aus atomrechtlichen Gründen unmöglich.

VON STEFFEN PROSS

Grundlage dieser Einschätzung, die Vertreter des Bundes der
Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar und des Aktionsbündnisses Gastor-
Widerstand gestern abgaben, ist die Aussage von Südwest-Umweltministerin
Tanja Gönner (CDU), dass in GKN I schon seit 1984 keine Materialproben
mehr vorgehalten werden, mit denen sich die Versprödung des
Reaktordruckbehälters aktuell überprüfen ließe (wir berichteten). Wie
Gönner in einem Brief an den Grünen-Landtagsabgeordneten Franz
Untersteller unter anderem darlegt, seien zwei von drei Materialproben,
die im Reaktorblock I zu Kontrollzwecken einer verstärkten Bestrahlung
ausgesetzt waren, bereits 1976 im Warmprobebetrieb in den Druckbehälter
eingehängt und 1977 beziehungsweise 1979 zur Auswertung entnommen worden.

Dies widersprach zwar keinen damals geltenden Vorgaben - die Regeln für
die Handhabung solcher Proben wurden erst 1984 definiert. Doch nach der
seit 2001 geltenden kerntechnischen Regel KTA 3203 wäre das damalige
Vorgehen nach Meinung der von den Bürgerinitiativen eingeschalteten
Gruppe Ökologie unzulässig. Zum gleichen Befund kommt das Hannoveraner
Institut auch in einem zweiten Punkt: Der Fluenzvoreilfaktor - eine
rechnerische Größe für die Auswertung der Materialproben - war bei GKN I
höher als nach der neuen Fassung der Regel KTA 3203 erlaubt.

Fazit der Hannoveraner: Für den älteren Neckarwestheimer Reaktor liege
kein Sicherheitsnachweis vor, der heutigen Bestimmungen genügen würde.
Damit aber, so die Atomkraftgegner, sei eine Laufzeitverlängerung für das
1976 in Betrieb gegangene GKN I atomrechtlich unmöglich, bedürfte es dazu
doch des - nun ihrer Ansicht nach nicht mehr zu führenden - Nachweises,
dass die Anlage auch dem heutigen Stand der Technik entspreche.

EnBW widersprach dieser Darstellung energisch. Erstens seien die für GKN
I nachgewiesenen Sicherheitsreserven so groß, dass ein Reaktorbruch trotz
der beanstandeten Abweichungen ausgeschlossen werden könne. Zweitens
würden die neuen rechtlichen Bestimmungen nur greifen, wenn technische
Änderungen der Anlage genehmigt werden müssten. Dies sei bei einer reinen
Strommengenübertragung aber gerade nicht der Fall. Der Konzern halte
daher an seiner Absicht fest, noch vor Jahresende eine längere Laufzeit
für GKN I zu beantragen. Ob dazu Reststrom-Mengen von GKN II oder des
EnBW - eigenen Atomkraftwerks Philippsburg eingesetzt werden sollen,
wollte ein Konzernsprecher nicht verraten. Denkbar sei auch der Einsatz
von "Drittmitteln". Atomkraftgegner denken da vor allem an die Reststrom-
Mengen des bereits 1988 nach nur knapp zwei Jahren Betriebszeit
stillgelegten Reaktors Mühlheim-Kärlich. Die Energieriesen - so die
Vermutung - könnten die Reststrommengen dieses RWE-Atomkraftwerks zu
einer "konzertierten Aktion" mit dem Ziel nutzen, den Atomausstieg zu
kippen.

>>

Was das Atomausstiegsgesetz sagt

Nach den Konsensgesprächen zwischen rot-grüner Bundesregierung und
Energiewirtschaft wurde der Atomausstieg 2002 gesetzlich festgeschrieben.
Das Gesetz geht davon aus, dass Atomkraftwerke eine Regellaufzeit von 32
Jahren haben. Damit würde die friedliche Nutzung der Atomenergie in
Deutschland im Jahr 2021 mit dem Abschalten des jüngsten Reaktors
Neckarwestheim II enden.

Freilich sieht das Atomgesetz die Möglichkeit vor, Strommengen - und
damit Restlaufzeiten - von einem auf ein anderes Atomkraftwerk zu
übertragen, womit sich das Ende der Atomnutzung hinausschieben könnte.
Denn grundsätzlich sollen nur Laufzeiten älterer auf jüngere Meiler
übertragen werden. So würden ältere Reaktoren früher abgeschaltet,
während jüngere - und damit auch unter Sicherheitsaspekten modernere -
Anlagen länger laufen könnten.

Allerdings lässt das Gesetz Ausnahmen von dieser Regel zu. Diese kann nur
der Bundesumweltminister genehmigen - und zwar nur unter der
Voraussetzung, dass auch die älteren Reaktoren allen aktuellen
sicherheitstechnischen Anforderungen genügen. (pro)



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Info-tel 07141 / 903363
http://neckarwestheim.antiatom.net



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