Stuttgarter Zeitung, 10.05.06

> EnBW fordert Gnadenfrist für alten Reaktor
> Antrag auf Betriebsverlängerung für Neckarwestheim wird vorbereitet - Abbau Obrigheim läuft

HEILBRONN. Der baden-württembergische Stromkonzern EnBW will den dreißig
Jahre alten Block I im Kernkraftwerk Neckarwestheim über das Jahr 2009
hinaus betreiben. Noch dieses Jahr soll der entsprechende Antrag nach
Berlin geschickt werden.

Von Wieland Schmid

Dass die EnBW den älteren der beiden Reaktoren in Neckarwestheim nicht,
wie im so genannten Atomkonsens vorgesehen, schon in drei Jahren
abschalten möchte, ist bekannt. Aber jetzt will der Konzern Fakten
schaffen. Ein offizieller Antrag auf eine Laufzeitverlängerung für Block
I des Gemeinschaftskernkraftwerks Neckar (GKN) werde derzeit vorbereitet,
sagte gestern der EnBW-Manager Hans-Josef Zimmer. Der Antrag soll noch in
diesem Jahr dem Bundeskanzleramt, dem Bundesumweltministerium und dem
Bundeswirtschaftsministerium zur Entscheidung vorgelegt werden.

Es gehe um eine "Modernisierung des Atomkonsenses", sagte Zimmer, der
auch Vorsitzender der Geschäftsleitung der Energie Baden-Württemberg
Kernkraft GmbH ist. "Wir sollten über die Abschaltzeiten noch mal
nachdenken, weil wir Zeit brauchen, um Technologien für regenerative
Energiegewinnung zu entwickeln." Das ist auch die Ansicht von
Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU). Der Regierungschef hat schon
Ende vergangenen Jahres vorgeschlagen, die Restlaufzeiten des 18 Jahre
alten zweiten Reaktors in Neckarwestheim auf Block I zu übertragen, um
dessen Laufzeit zu verlängern (wir berichteten darüber).

Ob die EnBW diesem Vorschlag folgt und wie lange die geforderte
Gnadenfrist für den alten Reaktor dauern soll, mochte Zimmer gestern
nicht sagen. Nach seinen Worten sind diese Details "zur Zeit noch in der
Prüfung". Gleichzeitig versicherte er jedoch, dass die EnBW im
Allgemeinen die politischen Vereinbarungen zum Ausstieg aus der Kernkraft
erfüllen wolle. In diesem Zusammenhang betonte Zimmer, dass die
Abschaltung des Kernkraftwerks Obrigheim vor genau einem Jahr endgültig
sei: "Es gibt keine Überlegungen zur Wiederaufnahme."

Die Belegschaft ist von 300 auf 190 Mitarbeiter reduziert worden, die
inzwischen mit den Vorbereitungen für den noch mehr als 14 Jahre
dauernden Abbau der Anlage beschäftigt sind. Noch im Sommer soll das
Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren für die Stilllegung mit der
Auslegung der Unterlagen beginnen. Fürs vierte Quartal dieses Jahres ist
die öffentliche Erörterung vorgesehen. Die endgültige amtliche
Genehmigung für den Abbruch des Atomkraftwerks wird jedoch erst für
nächstes Jahr erwartet, obwohl sie bereits im Dezember 2004 beantragt
wurde.

Bevor die Abrissbirnen tätig werden können, müssen in Obrigheim
allerdings rund 100 Tonnen hoch radioaktiven Materials in betonumhüllten
Castoren sowie 2500 Tonnen weniger verstrahlten Mülls in Containern
gelagert werden. Die Genehmigung dafür wird erst für Ende 2007 erwartet.
Einen Zeitplan für die Beseitigung der gefährlichen Stoffe in Endlagern
gibt es bis jetzt nicht.

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