Stuttgarter Zeitung, 11.07.06

> Der Atomaufseher mehrt sein Vermögen mit EnBW-Aktien

Einstiger Kontrolleur des Stromkonzerns ist seit Jahren Anteilseigner -
Seine Unabhängigkeit sieht Dietmar Keil dadurch nicht berührt

Kritiker haben Dietmar Keil wiederholt zu wenig Distanz zur EnBW
vorgeworfen. Nun werden sie sich bestätigt sehen: Der langjährige Chef
der Atomaufsicht, stellt sich heraus, ist seit Jahren zugleich Aktionär
des Stromkonzerns. Eigentlich wollte er das unbedingt geheim halten.

Von Andreas Müller

Bei der Hauptversammlung der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) sieht
man meistens die gleichen Gesichter. In den vorderen Reihen sitzen die
Vertreter der Großaktionäre, französische Manager und oberschwäbische
Landräte. Weiter hinten kommen die Kleinaktionäre, zumeist ältere Herren
aus der Region, die dem Karlsruher Stromkonzern seit vielen Jahren die
Treue halten.

Dieses Jahr gab es ein neues - und doch bekanntes - Gesicht beim Treffen
der Anteilseigner. Zwischen den Besuchern in der Schwarzwaldhalle saß
auch Dietmar Keil, der langjährige Chef der Atomaufsicht im Stuttgarter
Umweltministerium. Bis zu seiner Pensionierung im vorigen November war
der 65-jährige Spitzenbeamte für die Sicherheit der Kernkraftwerke im
Südwesten zuständig - und in dieser Funktion höchst umstritten. Seine
Kritiker warfen ihm vor, zu wenig Distanz zu den Betreibern der
Atommeiler zu halten. Er selbst gerierte sich dagegen gerne als scharfer
Kontrolleur der EnBW.

War Keil neuerdings etwa Aktionär des Stromkonzerns, den er früher
beaufsichtigte? Womöglich sogar schon länger? Oder verfolgte er die
Hauptversammlung als interessierter Gast, den sein Job auch im Ruhestand
nicht loslässt? Von der Stuttgarter Zeitung befragt, antwortete der
Pensionär ohne zu zögern: Er sei lediglich "interessierter Gast". Es
klang sehr überzeugend - wohl vor allem deshalb, weil der Atomexperte
darauf vertraute, dass ihm niemand das Gegenteil beweisen könnte.

Tatsächlich war das nicht so einfach. Die EnBW wollte sich zu Keils Rolle
aus Gründen des Aktienrechts und des Datenschutzes nicht äußern: Einblick
in das Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung erhielten nur
Anteilseigner. Man habe keine Namens-, sondern Inhaberaktien und kenne
die einzelnen Aktionäre daher gar nicht, fügte die
Kommunikationsabteilung hinzu. Auch das Umweltministerium erklärte sich
für unzuständig. Der Besitz von Aktien falle in der Regel "als Teil der
Vermögensbildung in die Privatsphäre" der Beamten, erläuterte die
Pressestelle von Tanja Gönner (CDU). Schon deshalb erkundige man sich
nicht danach.

Erst die offizielle Anfrage des Aktionärvertreters Matthias Gaebler
brachte die Wahrheit ans Licht: Keil hatte schlicht gelogen. Er sei mit
insgesamt 41 Aktien anwesend gewesen, teilte der Konzern pflichtgemäß
mit. 20 Stimmrechte habe er selbst wahrgenommen, 21 auf einen Bekannten
übertragen. Bei einem Kurs von damals etwa 50 Euro ergab das einen
Bestand im Wert von rund 2000 Euro. Wenn der Chefkontrolleur
Miteigentümer des Kraftwerksbetreibers sei, spöttelte Gaebler, sehe die
Atomaufsicht "doch sicher gleich ganz anders aus".

Beim Schwindeln dummerweise ertappt, ging Keil erst einmal auf
Tauchstation. Wochenlang reagierte er nicht auf telefonische Anfragen der
Stuttgarter Zeitung. Seit wann er Aktionär sei, ob schon zu aktiven
Zeiten oder erst nach der Pensionierung - zu diesen und anderen Punkten
wollte der promovierte Physiker eigentlich keine Auskunft geben.
Begründung: er sei inzwischen "Privatperson". Erst nach einer
schriftlichen Anfrage überlegte es sich Keil anders. Jawohl, bestätigte
er nun, er sei Aktionär der EnBW - und das schon seit Jahren. "Als Teil
meiner privaten Vermögensbildung" besitze er seit 1999 die besagten 41
Anteile, nicht mehr. Die habe er seinerzeit "bei meiner Bank privat
käuflich erworben" und nicht etwa geschenkt oder als Gegenleistung
erhalten. Warum er das zunächst wahrheitswidrig bestritten hatte,
erklärte der Ministerialdirigent a. D. ebenfalls: Er habe vermeiden
wollen, dass man aus seinem geringfügigen Besitz "unzutreffende
Schlussfolgerungen" ziehe.

Nun, nach der missglückten Verschleierung, wirft der Vorgang erst recht
Fragen auf. Wie unabhängig kann der oberste Atomkontrolleur agieren, wenn
er am wirtschaftlichen Florieren des Kraftwerksbetreibers ein ganz
persönliches Interesse hat? Ein Reaktor zum Beispiel, der auf Geheiß der
Aufsicht aus Sicherheitsgründen still steht, kostet die EnBW täglich 500
000 Euro. Das fällt selbst bei einem finanziell so fett gepolsterten
Konzern finanziell ins Gewicht - und kann bei einem langen Ausfall
durchaus den Aktienkurs tangieren.

Doch Keil will von derlei Bedenken nichts wissen. Einen Zielkonflikt
zwischen seiner beruflichen Funktion und seiner Rolle als
"Kleinstaktionär" habe es nie gegeben: Die EnBW-Anteile hätten "mein
unabhängiges aufsichtliches Handeln in keiner Weise berührt oder gar
beeinträchtigt". Stets habe er "streng sicherheitsorientiert" gehandelt
und dabei auf "Wachsamkeit, Unabhängigkeit und Durchsetzungsfähigkeit"
der Aufsicht geachtet. Im Übrigen gebe es da gar keinen
Interessengegensatz: "Nur ein sicheres Kernkraftwerk kann auch
wirtschaftlich sein."

Wesentlich einsilbiger äußert sich das Umweltministerium, das von der
Stuttgarter Zeitung über Keils Aktienbesitz aufgeklärt wurde. "Eine
beamtenrechtliche Vorschrift, die es einem Beamten der
Kernenergieaufsicht verbietet, gleichzeitig Aktionär der EnBW zu sein,
gibt es nicht", lässt Ressortchefin Gönner knapp erklären. Doch damit
macht sie es sich zu einfach. Fürs private Wertpapierdepot von
Staatsdienern existiert in der Tat keine Spezialvorschrift. Aber nach
Auskunft von Experten gelten die allgemeinen Regeln für Befangenheit.

An Verwaltungsverfahren darf laut Gesetz nicht mitwirken, wer dadurch
einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Der ursächliche
Zusammenhang zwischen Amtshandlung und Vor- oder Nachteil muss freilich
in jedem Einzelfall belegt sein - was bei Keil womöglich schwierig sein
könnte. Eindeutig gilt für ihn laut Fachleuten hingegen eine weitere
Vorschrift: Schon wenn nur der Verdacht einer Befangenheit entstehen
könnte, muss der jeweilige Beamte seinen Dienstvorgesetzten informieren;
damit soll ein "böser Anschein" vermieden werden. Doch die verschiedenen
Umweltminister, die Keil mehrfach gegen Rücktrittsforderungen verteidigen
mussten, wussten offenbar nichts von seiner speziellen Beziehung zur
EnBW.

Jetzt, da sie publik wird, ist Keil zu seinem Glück bereits im Ruhestand;
sonst geriete er wohl erneut massiv unter Druck. Im Nachhinein klingt
seine Begründung, warum er nicht noch ein, zwei Jahre anhängte, geradezu
seherisch: Er wolle "das Schicksal nicht herausfordern".

Aktualisiert: 11.07.2006, 06:13 Uhr
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