dpa, 23.10.09

> Schorndorf gegen Netzgesellschaft mit EnBW

Stuttgart/Schorndorf (dpa/lsw) - Die geplante gemeinsame Netzgesellschaft
des Energiekonzerns EnBW und des Neckar- Elektrizitätsverbandes (NEV) stößt
nicht bei allen beteiligten Kommunen auf Gegenliebe. Schorndorfs
Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD) sagte am Freitag nach einer Sitzung
des Zweckverbandes, es wollten mehrere Kommunen die Rechtmäßigkeit des
Konstrukts überprüfen. Einem entsprechenden Antrag der Stadt seien unter
anderem Ostfildern, Metzingen, Bietigheim-Bissingen und Ditzingen gefolgt.
Klopfer zufolge fand sein Antrag aber erwartungsgemäß keine Mehrheit. Viele
Kommunen hätten sich noch nicht ausreichend mit dem Thema beschäftigt, sagte
er. Bei der nächsten Verbandsversammlung könnte die Stimmung schon anders
sein.

Stuttgarter Zeitung, 23.10.09

> Strommarkt
> Bürgermeister gegen EnBW

Eine Gans macht noch keinen Stromer. Auch der alljährliche Gänsebraten, den
die EnBW den Bürgermeistern serviert, bringt nicht alle an einen Tisch.

Schorndorf - Das Aquarium im Amtszimmer sollte zur Beruhigung dienen. Aber
da mögen die Schleierschwänze noch so gemächlich dahinschweben, der
Schorndorfer Schultes bleibt ein Dampfkessel. Das liegt zum einen daran,
dass ein 41-jähriger Oberbürgermeister dynamisch sein muss, zum anderen an
dem Thema, das ihn mächtig umtreibt: der Strom. Am Freitag soll Matthias
Klopfer Ja sagen zu einem großen Coup, den die Energieversorgung
Baden-Württemberg (EnBW) und der Neckarelektrizitätsverband (NEV) ausgeheckt
haben. Es geht um eine gemeinsame Netzgesellschaft, an der sich 168 Städte
und Gemeinden sowie neun Landkreise zwischen Heilbronn und Reutlingen
beteiligen sollen.

"So geht man nicht mit seinen Mitgliedern um."
Jürgen Kessing, Bietigheims OB

Atomkraftgegner Klopfer wird Nein sagen. Mit allem Nachdruck. Er will raus
aus dem NEV und nicht rein in die Netz-KG. Warum, so fragt er sich, soll er
bei einem Unternehmen mitmachen, an der seine Stadt 0,18 Prozent hält, die
atomlastige EnBW aber 49? "Einfluss null", poltert er. Das leuchtet ihm so
wenig ein wie das Gutachten des NEV, das der geplanten Gesellschaft zugrunde
liegt, viel verspricht, viel im Vagen lässt und vieles festzurren will, was
offenbleiben muss.

Das weiß Klopfer, seitdem er die noble Stuttgarter Kanzlei Wahle beauftragt
hat, die NEV- Expertise zu prüfen. Das Ergebnis ist vernichtend. Das
Vorgehen, urteilen die renommierten Juristen, könne sich als "vorsätzlicher
Verstoß" gegen gültige Gesetze darstellen. Zentraler Kritikpunkt: die
geplante Vergabe der Betriebsführung an die EnBW, die damit weitere 20 Jahre
darüber befinden könnte, wie das Kernland Württembergs mit Strom versorgt
wird. Dass es dafür einer europaweiten Ausschreibung bedarf, ist den
NEV-Gutachtern ("Marktmacht wird verbessert") offenbar entgangen.

Ein gemeinsames Ziel: Autonomie bei der Energie


Der Schorndorfer Schultes ist mit seinem Zorn nicht alleine. Er ist nur der
Frontmann der Rebellen, die sich unter jenen Oberbürgermeistern finden, die
keine Lust mehr auf alte Seilschaften haben. Christof Bolay (Ostfildern),
Ulrich Fiedler (Metzingen), Jürgen Kessing (Bietigheim-Bissingen), Michael
Makurath (Ditzingen), Roland Klenk (Leinfelden- Echterdingen) heißen sie,
und sie eint dasselbe Ziel und dasselbe Selbstbewusstsein: die Autonomie bei
der Energie und die Distanz zur EnBW. Wenn der Karlsruher Konzern seinen
Handballern das Geld entziehen würde, müssten eben seine Stadtwerke
einspringen, sagt Metzingens OB und lacht.

Keiner von ihnen wird am Freitag, wenn der NEV zur Verbandsversammlung in
Salach bei Göppingen und dort zur "allgemeinen Richtungsentscheidung"
aufruft, für die Netz-KG stimmen. Jeder von ihnen will selbst bestimmen, mit
welchem Strom, zu welchen Preisen er seine Bürger beliefert. Die jungen
Stadtoberhäupter sprechen von Arbeitsplätzen und Gewinnen vor Ort, von einer
umweltschonenden und nachhaltigen Daseinsvorsorge, und sie wissen, dass sie
damit, fernab grüner Ideologie, bei ihren Wählern Punkte sammeln.

Wo das Kleine Konjunktur hat, das Große bedrohlich erscheint, setzt diese
Generation von Oberbürgermeistern auf Inseln im Meer der EnBW. Sie denkt an
ein Regionalwerk Rems (Klopfer), ein Regionalwerk Filder (Bolay) und ein
Regionalwerk Ermstal (Fiedler), also an Zusammenschlüsse benachbarter
Gemeinden, die sich trauen, die Energieversorgung in die eigene Hand zu
nehmen.

Bürger mögen keine anonymen Unternehmen


Dass das geht, sieht man in Geislingen. Dort ist das Albwerk zu Hause, ein
genossenschaftlich organisiertes Unternehmen, das auf Wind- und Wasserkraft,
Fotovoltaik und Biogas setzt, 170 Millionen Euro Umsatz macht, und seinem
Direktor Hubert Rinklin zwei kleine Perserteppiche im Büro gönnt. Der
49-jährige Betriebswirt gilt im Kreis der Rekommunalisierer als Topexperte
und könnte seinen Unterhalt auch als Vortragsreisender bestreiten. Aber
lieber ist er auf Akquise. Zuletzt in Oberschwaben, wo er das Regionalwerk
Bodensee mit aus der Taufe gehoben hat. Dort sind sie höchst zufrieden. Mit
Rinklins sauberem Strom und immer mehr Kunden.

Selbstredend beobachtet der gebürtige Freiburger auch das württembergische
Treiben mit großem Interesse. Er habe gelernt, erzählt er, dass die Bürger
Unternehmen nicht mögen, die "undurchschaubar und anonym" sind, und dass die
Bürgermeister gut damit fahren, heimatliche Häuser zu bauen. Die anderen,
sagt er, die nur einen finanziellen Mehrwert wollten, seien beim NEV "gut
aufgehoben".

Selbst daran zweifeln die renitenten Oberbürgermeister. Sie fragen, was der
kommunale Zweckverband für sie tut, außer ihnen zu drohen, ihren
Vermögensanteil nicht auszubezahlen, falls sie austreten sollten.
Bietigheims Kessing ist darob sehr erbost ("so geht man nicht mit seinen
Mitgliedern um"), und Schorndorfs Klopfer spricht gar von einem "Skandal
erster Güte". Schließlich sind ordentliche Summen im Spiel beim NEV, der als
Aktionär bei der EnBW und der Frankfurter RWE-Tochter Süwag AG ein Vermögen
von 120 bis 130 Millionen verwaltet.

Viel Energie in Verhandlungen gesteckt


In der Tat ist den meisten bisher verborgen geblieben, womit sich die
Einrichtung in der Stuttgarter Gänsheide eigentlich beschäftigt. "Aktien
kaufen und Reisen veranstalten", ätzt Klopfer, "das war's." Das stimmt zwar
auch, wobei die Exkursionen, etwa zu norwegischen Ölförderplattformen,
Anlass für staatsanwaltliche Ermittlungen waren (die dann eingestellt
wurden), aber richtig ist ebenso, dass der NEV viel Energie in die
Verhandlungen über die Konzessionsverträge mit der EnBW und der Süwag AG
gesteckt hat. Dafür hat er von beiden Unternehmen jährlich eine sogenannte
Vertragsabgabe erhalten, die im NEV-Wirtschaftsplan mit 335.000 Euro (2009)
zu Buche schlägt. Und das wiederum entlastet den Etat, in dem die
Personalkosten den größten Brocken bilden: 438.000 Euro für viereinhalb
Stellen, die sich der Geschäftsführer Klaus Kopp, ein Diplomingenieur, eine
Sekretärin und eine Verwaltungsangestellte teilen.

Der Vorsitzende des Verbandes ist der Böblinger Oberbürgermeister Alexander
Vogelgsang. Zuerst verteidigt er, bei grünem Tee, seinen Geschäftsführer. Er
sei ein "hervorragender Mann" und sein Geld wert, betont der 64-jährige
Sozialdemokrat. Kopps Jahressalär liege deutlich unter 200.000 Euro. Das ist
ihm wichtig zu erwähnen, weil unter seinen aufmüpfigen Amtskollegen die Rede
davon ist, der Geschäftsführer verdiene mehr als sie.

Wichtiger ist ihm aber das Ziel, und das kann nur die gemeinsame Netz-KG
sein. Die würde, versichert Vogelgsang, allen Mitgliedern "mehr Geld
bringen", was bei der Haushaltslage der Kommunen von "hoher Bedeutung" sei.
Das sollten die Rebellen ebenso bedenken wie die Risiken, die sie mit einer
eigenen Energieversorgung eingingen. "Der Daimler erwartet seinen Strom just
in time", warnt der Böblinger OB, "und die EnBW liefert ihn. Mit 100 Prozent
Effizienz."

Nun weiß der "Bedächtige", wie er genannt wird, auch, dass er damit den
Widerstand nicht bricht. Und deshalb wird er am Freitag mit zwei Angeboten
kommen, die für den NEV nahezu revolutionären Charakter haben: Erstens
sollen die Mitglieder nach vielen Jahren wieder eine Dividende erhalten und
zweitens von der Drohung verschont bleiben, leer auszugehen, wenn sie aus
dem Verein austreten sollten. Schließlich befinde man sich in einer "Phase
der Neuorientierung", glaubt der Böblinger Oberbürgermeister, in der Großes
und Kleines vereinbar sein müsse.

Der Große schweigt dazu nach wie vor. Vor der Verbandsversammlung stehe die
EnBW Regional AG für ein Gespräch nicht zur Verfügung, heißt es am Sitz
Stuttgart. Bestätigt wird der Gänsebraten, den der Konzern den
Oberbürgermeistern und Bürgermeistern alljährlich im Advent serviert.

Josef-Otto Freudenreich, veröffentlicht am 23.10.2009



Stuttgarter Zeitung, 23.10.09

> Energieversorgung
> Vieles ist mit heißer Nadel gestrickt

NEV
Laut Satzung soll der Neckar-Elektrizitätsverband seinen Mitgliedern zu
einer einheitlichen Stromversorgung verhelfen. Gegründet 1917, ist er über
Anteile an den Neckarwerken und der Kraftwerk Altwürttemberg AG (Kawag)
gewachsen. Nach dem Aufgehen der Neckarwerke in der EnBW hat sich der NEV
mit 0,7 Prozent am Karlsruher Konzern beteiligt. 4,3 Prozent hält er an der
RWE-Tochter Süwag AG.


Plan
Die EnBW bringt ihr Stromnetz in eine GmbH & Co. KG ein, an der sie selbst
mit 49 Prozent beteiligt ist. Den Rest teilen sich die Kommunen (35,9) und
der NEV (15,1). Der Wert des Netzes soll 500 Millionen Euro betragen. Die im
NEV zusammengeschlossenen 168 Gemeinden sollen eine Rendite von 9,4 Prozent
erhalten. Für Metzingens OB Fiedler ist der Plan mit "viel zu heißer Nadel"
gestrickt.

Lage
Am Freitag sollen die NEV-Mitglieder in der Stauferlandhalle in Salach eine
"allgemeine Richtungsentscheidung" treffen. Der Verband mahnt dabei zur
Eile, weil er im Frühjahr in konkrete Verhandlungen mit der EnBW treten
will. Sein Vorsitzender Alexander Vogelgsang soll die Rebellen gebeten
haben, sich wenigstens der Stimme zu enthalten, um das Projekt nicht
vorzeitig scheitern zu lassen.


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Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
Info-tel 07141 / 903363
http://neckarwestheim.antiatom.net