Stuttgarter Zeitung, 04.11.09

> Sicherheitsbehörden bemängeln Vorzeigemeiler
> Atomenergie: Internationale Experten melden gemeinsam Zweifel an der Sicherheit des neuesten Kernkraftwerktyps an.

Von Rainer Klüting

Ein schwerer Rückschlag für den französischen Konzern Areva NP und für die
Zukunftshoffnungen der Atomwirtschaft: Sicherheitsexperten haben am Montag in einem
Schreiben scharf die Sicherheit der neuesten Baulinie von Kernkraftwerken kritisiert, des
Europäischen Druckwasserreaktors (EPR). Sie fordern Areva NP auf, das
Sicherheitskonzept an entscheidender Stelle zu überarbeiten.

Die Kritik kommt von höchster Stelle: Das Schreiben haben die für die Atomsicherheit
zuständigen Behörden Frankreichs, Großbritanniens und Finnlands gemeinsam aufgesetzt.
In Frankreich und Finnland wird derzeit je ein EPR gebaut, die Briten möchten vier Anlagen
bestellen.

Die Kritik kommt für die Franzosen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Erstens sind sie mit
dem Bau in Finnland dreieinhalb Jahre in Verzug, und die Kosten sind von drei auf 4,7
Milliarden Euro gestiegen. Und zweitens muss Areva seinen Partner Siemens auszahlen.
Beide haben in dem gemeinsamen Tochterunternehmen Areva NP den EPR entwickelt.
Anfang dieses Jahres hat Siemens angekündigt, seinen 34-Prozent-Anteil verkaufen zu
wollen.

Die Sicherheitsbehörden kritisieren in ihrem gemeinsamen Schreiben, dass die Systeme der
Steuerung und Sicherheit beim EPR "einen sehr hohen Grad komplexer wechselseitiger
Verknüpfung" aufwiesen. Sie fordern den Hersteller auf, "Verbesserungen am ursprünglichen
Design" vorzunehmen. Das Schreiben ist ein Höhepunkt massiver Kritik an Areva. In
Finnland beharken sich Areva NP und der Energiekonzern TVO mit Prozessen. Britische
Kontrolleure hatten schon im April die Sicherheitstechnik des EPR kritisiert.

Die Kritik trifft das Konzept des EPR im Kern. Areva NP preist sein Reaktorkonzept im
Internet unter anderem mit den Worten an: "Die wesentlichen Sicherheitssysteme und
zugehörigen Hilfssystemen sind vierfach redundant ausgeführt." Jeder Strang des Systems
"kann die zugeordnete Schutzfunktion komplett und alleine ausführen." Das hilft jedoch nicht,
wenn Steuerung und Sicherheit miteinander verknüpft sind. "Unabhängigkeit der Systeme ist
wichtig, denn wenn ein Sicherheitssystem vor dem Versagen eines Steuerungssystems
schützen soll, dann sollten die beiden nicht gemeinsam ausfallen können", heißt es in dem
Schreiben der Experten. Areva habe Änderungen zugesagt.

Der französische Energiekonzern EDF betont, am Fahrplan für den Bau des EPR in
Flamanville, Normandie, ändere die Kritik "derzeit" nichts. In Frankreich sind zurzeit 18 von
58 Kernkraftwerken wegen Pannen und Wartung abgeschaltet. Das Land werde im Winter
"massiv" Strom importieren müssen, meldet "Le Monde".

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