Stuttgarter Zeitung, 15.02.10
> EnBW hofft auf Neckarwestheim - "Totgesagte leben länger"
Neckarwestheim - Die Landesregierung rechnet so fest mit einem Weiterbetrieb des
Kernkraftwerks Neckarwestheim I, dass sie dafür bereits Mehreinnahmen im Haushalt
eingeplant hat. Im Etat des Umweltministeriums von Tanja Gönner (CDU) sind in diesem
Zusammenhang zwei Millionen Euro zusätzlich vorgesehen. Dies bestätigte ein Sprecher
Gönners der StZ.
Es handele sich um erwartete Gebühren für Genehmigungen, die bei einer
Laufzeitverlängerung fällig würden - eine Dreiviertelmillion Euro in diesem Jahr, eineinviertel
Millionen Euro im nächsten Jahr. Nach der geltenden Gesetzeslage müsste der Altreaktor
voraussichtlich im April oder Mai endgültig abgeschaltet werden. Interne Planungen des
Umweltressorts sehen jedoch vor, dass er nach einer längeren Pause für Nachrüstarbeiten
wieder ans Netz geht.
Im Doppeletat ist der Hintergrund der Mehreinnahmen nur verklausuliert beschrieben.
"Erhöhungen aufgrund von Veränderungen im Bereich der Energiewirtschaft", heißt es bei
dem entsprechenden Titel. In einer früheren Version, die dem Fernsehmagazin "Monitor"
vorliegt, war noch offen von der "Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken" die
Rede. Für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl ist der Haushaltsposten
verräterisch: Er zeige, "dass die Laufzeiten-Entscheidung in Wirklichkeit schon gefallen ist".
Tanja Gönners Äußerung, sie lehne Vorfestlegungen in dieser Frage ab, sei "leider nur
hohles Gerede".
Ein Sprecher der Ministerin sagte, es sei nicht unüblich, dass im Etat bereits künftige
Entwicklungen berücksichtigt würden; dies gebe es auch bei anderen Themen. Gönner
selbst sprach gegenüber "Monitor" von einer "guten Chance" für den Weiterbetrieb des
Reaktors.
Gönner wird stark kritisiert
Mit Unverständnis reagierten Grünen-Politiker auf Gönners Einsatz für den Altmeiler und ihre
Kritik am Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). "Wenn sich die obersten
Atomaufseher der Länder selbst zu den Lobbyisten der Energiekonzerne machen, ist das nur
noch schäbig", sagte Kotting-Uhl. Der Vizechef der Landtagsgrünen, Franz Untersteller,
nannte es "ärgerlich und nicht mehr nachvollziehbar, mit welcher Vehemenz Gönner sich für
die Atomkraft starkmacht und ihren Parteikollegen Röttgen öffentlich attackiert". Während
Röttgen erkannt habe, dass die Zukunft in erneuerbaren Energien liege, lasse sich Gönner
"zum wiederholten Male vor den Karren der EnBW spannen", kritisierte Untersteller.
Der Karlsruher Energiekonzern tritt unterdessen dem Eindruck entgegen, er habe
Neckarwestheim1 bereits aufgegeben. So waren Äußerungen des Vorstandschef Hans-Peter
Villis bei der Bilanzpressekonferenz vorige Woche verstanden worden. "Wir müssen heute
noch immer davon ausgehen, dass Neckarwestheim Ende April/Anfang Mai nicht mehr am
Netz ist", hatte Villis gesagt. Opposition und Bürgerinitiativen reagierten darauf mit freudiger
Überraschung. Der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Knapp begrüßte die Stellungnahme
der EnBW. Nun müsse auch die Landesregierung erkennen, dass sie längere Laufzeiten
nicht durchsetzen könne. Das Bündnis der Bürgerinitiativen in der Region Mittlerer Neckar
sprach von einer "erfreulichen Nachricht".
Politik sende positive Signale
Das Unternehmen warnte die Atomkraftgegner jedoch vor verfrühter Freude. Villis habe sich
lediglich auf die aktuelle Gesetzeslage bezogen, sagte ein Sprecher. Man werde "alles in
unseren Möglichkeiten stehende tun, damit Neckarwestheim I länger am Netz bleibt".
"Totgesagte leben länger", fügte er hinzu. Es gebe positive Signale aus der Bundes- und
Landespolitik, dass der Reaktor weiterlaufen könne. Zuletzt hatte sich dafür auch der neue
Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) eingesetzt. Im StZ-Interview forderte er Röttgen auf,
einen "geeigneten Übergangsmechanismus zu finden". Mappus nannte es völlig
inakzeptabel, wenn Neckarwestheim1 abgeschaltet werden müsste.
Bisher hatte Röttgen gesagt, dies sei Sache der Energiekonzerne untereinander. Ohne
Zustimmung des Bundes wäre es möglich, Strommengen vom stillgelegten Reaktor Stade
auf Neckarwestheim I und Biblis A - beiden droht in Kürze das Aus - zu übertragen. Ob und
zu welchen Konditionen der Stade-Betreiber Eon dazu bereit wäre, ist jedoch unklar. In der
Energiebranche heißt es, zwischen Eon und EnBW gebe es dazu nicht einmal Gespräche.
Eon-Chef Wulf Bernotat lasse seinen Kollegen Villis womöglich "am langen Arm
verhungern", hatte der Grünen-Experte Untersteller gemutmaßt. Ein EnBW-Sprecher sagte
dagegen: "Wir sind in Gesprächen über alle denkbaren Optionen."
Rülke stellt sich gegen Mappus
Der FDP-Fraktionschef im Landtag, Hans-Ulrich Rülke hält Neckarwestheim I unterdessen
für verzichtbar. Atomkraft sei als Brückentechnologie noch eine Reihe von Jahren nötig.
"Allerdings ist der Anteil der Kernenergie am Energiemix sicher auch ohne Neckarwestheim I
leistbar", sagte Rülke in einem dpa-Gespräch. Er stellte sich damit gegen Mappus. Zugleich
warf er den Energiekonzernen vor, eine Einigung im Streit um längere Laufzeiten zu
blockieren.
Sie müssten sich endlich festlegen, die Hälfte ihrer zusätzlichen Gewinne abzugeben. Rülke
will vor allem der EnBW Beine machen, wenn sie sich weiter gegen diese politische Vorgabe
sträubt: "Von daher wäre es möglicherweise keine schlechte erzieherische Maßnahme,
gegebenenfalls die Abschaltung von Neckarwestheim I in Kauf zu nehmen."
Andreas Müller
Der Streit um die Laufzeitverlängerung von Neckarwestheim I ist in vollem Gang. Jetzt hat
sich FDP-Fraktionschef Rülke gegen Ministerpräsident Mappus gestellt. Foto: Steinert
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neckarwestheim-totgesagte-leben-laenger-.html
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