Heilbronner Stimme, 25.08.10
http://www.stimme.de/heilbronn/gkn/sonstige;art30651,1921116

> Sicherheitslücken beim älteren Meiler

Von Reto Bosch

Block I in Neckarwestheim (hinten) ging 1976 in Betrieb. GKN II produziert seit dem Jahr
1989 Strom.Foto: Archiv/Kuhnle

Neckarwestheim - In den kommenden Wochen will die Bundesregierung ihren
energiepolitischen Kurs festlegen. Antworten soll es auch auf die Frage geben, wie lange
Atomkraftwerke am Netz bleiben dürfen. Das Versprechen der Politik an die Bürger lautet:
Sicherheit spiele die entscheidende Rolle. Doch in diesem Punkt gehen die Meinungen weit
auseinander.

Atomkraftgegner halten vor allem die älteren Meiler wie GKN I für unsicher. Mehrere
Untersuchungen und Dokumente belegen, dass es tatsächlich Sicherheitslücken gibt - die
zum Teil nicht zu schließen sind. Ein Überblick.

Bundesumweltministerium: GKN-Betreiber EnBW hatte 2006 den Antrag gestellt,
Reststrommengen vom neueren auf den älteren Reaktor übertragen zu dürfen. Das
Bundesumweltministerium (BMU) gab daraufhin, unter anderem bei der Gesellschaft für
Reaktorsicherheit (GRS), einen Sicherheitsvergleich der beiden Neckarwestheimer Meiler in
Auftrag. Ergebnis: In vielen Punkten liegt das 34 Jahre alte GKN I zurück. Die Anlage verfügt
zum Beispiel nur über drei statt der sonst in Deutschland bei Druckwasserreaktoren üblichen
vier Hauptkühlmittelleitungen.

Bei neueren Kraftwerken liegen laut BMU die Anforderungen für Material und Schutzziele
höher. Etwa was Armierungen, Rohre, Armaturen oder Kabel angeht. GKN II (21 Jahre alt)
verfüge über eine verstärkte Gebäudeaußenwand, was einen größeren Schutz gegen
Flugzeugabstürze biete. Der ältere Reaktor weise weniger Reserven für die Vermeidung von
Störungen auf als GKN II. Im Gegensatz zu diesem Meiler könnten für GKN I kurzfristige
Funktionsunfähigkeiten von Teilen der Ansteuerung durch den Reaktorschutz nach
Erdbeben nicht ausgeschlossen werden.

Internationale Länderkommission Kerntechnik: Im Auftrag mehrerer Bundesländer
untersuchte die Internationale Länderkommission Kerntechnik (ILK) die deutschen
Kernkraftwerke auf ihren Schutz vor terroristischen Anschlägen. Das Ergebnis ist in einem
Vermerk vom November 2002 an die damalige hessische Landesregierung nachzulesen: Bei
älteren Kraftwerken wie GKN I "ist bei einem Aufprall auf das Reaktorgebäude mit schweren
bis katastrophalen Freisetzungen radioaktiver Stoffe zu rechnen". Bis zum Jahr 2009 wurde
diese Untersuchung als vertraulich eingestuft und der Öffentlichkeit vorenthalten.

Gesellschaft für Reaktorsicherheit: Die GRS kommt in einer Studie ebenfalls zu dem
Schluss, dass GKN I beim Aufprall eines großen Verkehrsflugzeugs unter Umständen nicht
standhalten könnte. "Beherrschung fraglich", urteilen die Prüfer in einem solchen Fall.
Deutlich besser schneidet der jüngere Meiler ab.

Koch-Oettinger-Papier: Die damaligen CDU-Ministerpräsidenten Günther Oettinger (Baden-
Württemberg) und Roland Koch (Hessen) leisteten schon vor der Bundestagswahl Vorarbeit
und ließen eine Laufzeitverlängerung vorbereiten. In einem internen Strategiepapier räumen
die beiden ein, dass es dort Sichereitsunterschiede gebe, wo Nachrüstungen Grenzen
gesetzt sind. "Solche Unterschiede bestehen beim baulichen Schutz, bei der Materialwahl
von Komponenten und Rohrleitungen des Primärkreislaufs und bei der leittechnischen
Realisierung einer der Störfallbeherrschung vorgelagerten Begrenzungsebene."

Ob, und in welchem Maß die Energieversorger nachrüsten müssen, um ihre Kraftwerke
länger betreiben zu dürfen, steht noch nicht fest. Ende September will das Bundeskabinett
einen Beschluss fassen.


Aufsicht sieht GKN I auf hohem Niveau

GKN-Betreiber EnBW argumentiert, das Sicherheitsniveau beider Reaktoren bewege sich
auf dem von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) für neue Anlagen geforderten
Niveau. Die Kosten für Nachrüstungen des Blocks I seit Inbetriebnahme belaufen sich laut
EnBW auf über 800 Millionen Euro (Stand Ende 2009). Zum Vergleich: Die
Investitionskosten für die Errichtung hätten 375 Millionen Euro betragen.

Auch das baden-württembergische Umweltministerium, zuständig für die Atomaufsicht im
Land, bescheinigt dem älteren Meiler einen technisch guten Zustand, der alle Vorgaben
einhalte. Dies hätten Sicherheitsüberprüfungen regelmäßig bestätigt. Dennoch: Die jüngere
Anlage GKN II weise in einigen Bereichen an einzelnen Stellen höhere Sicherheitsreserven
auf. Bei der sogenannten OSART-Mission habe GKN eines der der besten Ergebnisse in der
Geschichte dieser internationalen Untersuchungen erzielt - dabei wurden zum Beispiel
Management oder Betriebsabläufe unter die Lupe genommen. Eine technische Prüfung war
nicht Gegenstand der Mission.

Vernebelungen sollen Atomkraftwerke vor Terroranschlägen schützen. Laut Ministerium liegt
ein Genehmigungsantrag der EnBW vor. Durch den Engpass bei der Herstellung der Geräte
könnten die deutschen Anlagen allerdings nur schrittweise mit solchen
Vernebelungseinrichtungen ausgerüstet werden. GKN besitze durch die geschützte Lage im
Steinbruch im Vergleich zu anderen deutschen Kernkraftwerken bereits ein höheres
Schutzniveau. bor

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Hintergrund: EnBW-Chef schließt AKW-Stilllegungen nicht aus

Vor dem Hintergrund der Debatte um Laufzeiten und Abgaben für Kernkraftwerksbetreiber
will der Chef des Energiekonzerns EnBW, Hans-Peter Villis, das Abschalten einzelner
Anlagen nicht ausschließen. "Wir haben der Politik nie damit gedroht, Kernkraftwerke
stillzulegen. Aber es muss auch für uns der Grundsatz gelten dürfen, dass wir Anlagen nur
betreiben, wenn das betriebswirtschaftlich dauerhaft sinnvoll ist", sagte er dem "Handelsblatt"
(Mittwoch). Wenn das nicht mehr möglich sei, bleibe keine andere Wahl, als eine Stilllegung
von Anlagen zu prüfen.

Villis reagierte damit auf die Signale der Bundesregierung, neben einer Brennelementesteuer
in Höhe von 2,3 Milliarden Euro jährlich von den vier Kernkraftwerksbetreibern zusätzlich
Beiträge zum Ausbau der erneuerbaren Energien zu verlangen. Über Umfang und
Ausgestaltung dieser Beiträge herrscht im Moment noch Unklarheit.

"Die Gemengelage ist für uns unübersichtlich", sagte Villis. Die zum Teil widersprüchlichen
Aussagen seien ein Problem. "Etwas mehr Verlässlichkeit würde helfen", sagte der EnBW-
Chef. lsw

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