b_215_215_16777215_0_0_images_stories_akt11_0425ts_ts25x.jpgIm Artikel findet Ihr die Redebeiträge von Henrik Paulitz (IPPNW), Dr. Michael Wilk (Aku-Wiesbaden) und Berthold Frieß (BUND Baden-Württemberg)




Henrik Paulitz - IPPNW

Rede auf der Kundgebung des Ostermarsches in Neckarwestheim am 25. April 2011


Liebe Aktive der Anti-Atom-, der Energiewende- und der Friedensbewegung

Liebe Ostermarschierer

Liebe Freundinnen und Freunde

den Super-GAU von Tschernobyl bezahlten schätzungsweise 110.000 Katastrophenhelfer mit ihrem Leben. Forscher rechnen allein mit 240.000 zusätzlichen Krebsfällen. Es sollen 800.000 weniger Kinder zur Welt gekommen sein. Von Tschernobyl betroffene Menschen unterliegen einem extrem frühzeitigen Alterungsprozess. Insgesamt sollen europaweit viele Millionen Menschen gesundheitlich betroffen sein.

Und Tschernobyl setzt sich erwartungsgemäß in den nächsten Generationen fort: Offiziell wird damit gerechnet, dass bis zu 200.000 Kinder mit genetischen Schäden geboren werden.

Das ganze Ausmaß dieser Katastrophe ist unter anderem deswegen unklar, weil die Weltgesundheitsorganisation WHO die Öffentlichkeit nicht darüber aufklären darf. Das gleiche Spiel wiederholt sich jetzt in Japan.

Aber auch hier in Deutschland tut man nur so, als wolle man umfassend über die Gefahren der Atomenergie informieren. Diese systematische Desinformationspolitik, liebe Freundinnen und Freunde, ist verantwortungslos und skandalös.

Was bislang über Fukushima bekannt wurde, ist schlimm genug: Man muss wohl davon ausgehen, dass es bereits am 15. und in der Nacht zum 16. März zu massiven Freisetzungen von Radioaktivität kam. Selbst in Tokyo kam es zu einem erheblichen Anstieg der Radioaktivität. Man muss damit rechnen, dass ein erheblicher Teil des verbleibenden radioaktiven Inventars der vier Atommeiler und ihrer Lagerbecken noch auf die eine oder andere Weise in die Umgebung freigesetzt wird.

Es kommt entscheidend darauf an, dass endlich die richtigen Lehren aus Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima gezogen werden. Diese Technologie ist nicht beherrschbar und deswegen muss das vor den jüngsten Wahlen beschlossene Moratorium von Frau Merkel in eine endgültige und dauerhafte Stilllegung aller Atomkraftwerke führen.

Ob man sich jetzt tatsächlich schnell und umfassend von der Atomenergie verabschieden wird, muss allerdings bezweifelt werden. Und hier kommt die besondere Verantwortung von SPD und Grünen ins Spiel. Die Spitzen dieser Parteien tun bislang alles, um einen schnellen und umfassenden Atomausstieg sowie eine echte Energiewende zu verhindern.

Selbst nach Fukushima wollte man zunächst zum alten Konsens mit der Atomindustrie zurückkehren, nur sieben Altanlagen stilllegen und den später errichteten deutschen Altmeilern wie Neckarwestheim-2 durch Strommengenübertragungen einen umso längeren Weiterbetrieb ermöglichen.

Erst seit sich bei Union und FDP angesichts der schieren Angst vor einer Abstrafung durch die Bevölkerung bei Wahlen Ungeahntes in Bewegung setzte, verspricht man bei den Grünen einen Ausstieg bis 2017. Man verspricht also einen Atomausstieg zum Ende der kommenden Legislaturperiode. Das ist ein kluger Schachzug.

Damit verschafft man sich die besten Voraussetzungen, die Bundestagswahl im Herbst 2013 zu gewinnen – ohne natürlich dieses Versprechen nach der Wahl tatsächlich einlösen zu müssen. Wir haben das alles schon wiederholt erlebt.

Es geht bei allen Parteien derzeit erkennbar allein darum, künftige Wahlen zu gewinnen und zugleich diverse Deals mit den großen Energiekonzernen zu machen. Entgegen aller öffentlichen Rhetorik geht es darum, die Marktmacht der Großkonzerne weiterhin abzusichern und diesen Milliardenprofite von noch nie dagewesener Größenordnung zuzuschanzen.

Allein deswegen will man nicht so richtig ernst machen mit der Stilllegung von Atommeilern wie Neckarwestheim-2 und verhandelt längst über die Errichtung neuer konventioneller Großkraftwerke.

Allein deswegen wird nicht geklärt, ob man einen zweiten Sarkophag für Tschernobyl wirklich braucht oder ob es nur darum geht, großen Baukonzernen weitere Milliarden in den Rachen zu werfen.

Allein deswegen setzt man einseitig auf den Ausbau der Offshore-Windenergie mit Staatsbürgschaften, deutlich erhöhten Einspeisevergütungen und kostenlosem Leitungsanschluss.

Allein deswegen verabschiedet man sich nicht von der absurden Vorstellung, mit Großkraftwerken in den nordafrikanischen Wüsten Strom für Europa herstellen zu wollen.

Allein deswegen verbreitet man täglich die Lüge, für den Ausbau der erneuerbaren Energien bräuchten wir jede Menge neue Stromautobahnen.

Und nicht zuletzt deswegen schwört man die Bevölkerung täglich darauf ein, dass die Strompreise schon wieder drastisch steigen müssten.

Wir aber sagen Nein zur Fortsetzung dieses Systems der Abzocke durch wenige Großkonzerne.

Wir wissen doch längst, dass die Zukunft im weiteren dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien liegt. Wir sehen doch längst, dass vom dezentralen Weg die Bevölkerung, die Kommunen, Stadtwerke und mittlere Unternehmen wirtschaftlich profitieren und eben nicht nur die vier großen Atomkonzerne.

Der dezentrale Ausbau der erneuerbaren Energien in Bürgerhand ist auch notwendig, um dieses Land zu demokratisieren, indem man die Macht der Atomkonzerne endlich bricht.

Und es gibt noch einen ganz wesentlichen Grund: Nur wenn wir auf heimische erneuerbare Energien setzen, verhindern wir, dass immer und immer wieder Länder überfallen werden, in denen es Erdöl, Erdgas oder Uran gibt.

Warum wird denn derzeit Krieg gegen Libyen geführt? Das Land verfügt über die größten Erdöl-Reserven Afrikas und Gaddafi beging den Fehler, westlichen Ölkonzernen Steine in den Weg zu legen. – Warum wird denn seit zehn Jahren Krieg in Afghanistan geführt? Die Taliban machten einem westlichen Ölkonzern Probleme beim geplanten Bau einer Pipeline. Allein deswegen wurden sie plötzlich zu Feinden erklärt und aus der Regierung gebombt.

Mit welchem Recht maßen wir uns an, mit Bombern, Drohnen und Bodentruppen durch die Welt zu ziehen und mit militärischer Gewalt den einen Diktator gegen den nächsten Gewaltherrscher auszutauschen? Wir haben schlichtweg nicht das Recht, uns mit Gewalt Bodenschätze anzueignen, die anderen Völkern, aber nicht uns gehören.

Wo leben wir eigentlich, wenn auch deutsche Politiker praktisch nur dann eine Chance haben, in Parteien und Regierung aufzusteigen, wenn sie zuvor in den USA waren und dort ihre atlantische Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt haben? Ich nenne hier nur beispielhaft den ehemaligen Verteidigungsminister und Beinahe-Kanzler, Ex-Doktor zu Guttenberg, sowie Grünen-Chef Cem Özdemir.

Wo leben wir eigentlich, wenn Massenmedien mit geballter publizistischer Macht Parteien und Politiker zu bestimmten Positionen nötigen und Politiker zum Rücktritt drängen, die völlig zu Recht zögern, die Bundeswehr in den nächsten Krieg zu schicken? Wo leben wir eigentlich, wenn Menschen aus einflussreichen Positionen entfernt werden, die wie beispielsweise Margot Käßmann Kritik an völkerrechtswidrigen Kriegen der Bundeswehr üben?

Wie weit wollen all die bezahlten Kriegstreiber und Karrieristen in verantwortlichen Positionen dieses Spiel noch treiben? Kommt so mancher Konzernlenker, so mancher Politiker, so mancher Journalist erst dann zur Besinnung, wenn nach all den Urangeschossen und Streubomben, nach all den zerfetzten Frauen, Männern und Kindern erneut eine Atombombe gezündet wird?

Die aktuellen Energiekriege, liebe Freundinnen und Freunde, und der laufende Super-GAU in Fukushima müssen sehr viel weitreichendere Konsequenzen haben als nur kosmetische Korrekturen, um die nächsten Wahlkämpfe zu bestehen. Wenn von deutschem Boden wieder regelmäßig Krieg ausgeht und wenn alle Welt erkennt, dass Naturgewalten Atomkraftwerke in fürchterliche Radionuklid-Schleudern verwandeln können, dann muss sich etwas ganz grundlegend in dieser Politik ändern.

Wir wollen eine friedliche Welt, ohne Atomwaffen, Bomber und Drohnen. Wir wollen eine gesunde Welt, ohne atomare Bedrohung. Wir wollen eine freie und gerechte Welt, ohne die primitive Herrschaft des Geldes.

Wir fordern jetzt den Umstieg auf eine kriegs-präventive Energiewirtschaft mit erneuerbaren Energien in Bürgerhand. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ich danke Ihnen.




Dr. Michael Wilk, AKU-Wiesbaden - www.aku-wiesbaden.de

Rede Neckarwestheim 25.4.2011


Liebe Anwesende,

-Vor 25 Jahren erschütterte die Reaktorexplosion von Tschernobyl den Glauben an den sauberen Atomstrom und strafte all diejenigen Lügen, die von vernachlässigbarem Restrisiko gesprochen hatten.

Doch die Gegenpropaganda der Energiekonzerne und der Atomgläubigen Politiker setzte fast zeitgleich ein. Tschernobyl wurde als sowjetische Katastrophe definiert, westliche AKW als technisch überlegen und sicher dargestellt.

Drei Jahre nach Tschernobyl ging der jüngste deutsche Reaktor ans Netz : Neckarwestheim 2

-In den Tagen nach Fukushima wurde ich mehrfach von Seiten der Medien gefragt wie es denn sei „Recht behalten zu haben?“. Ich stellte die Gegenfrage, ob es nicht gruselig sei, dass es erst wieder einer Katastrophe bedarf, damit viele die herrschende Politik als verlogen und verbrecherisch erkennen. Es reicht- wir wollen so etwas nie wieder erleben!

-Wann wird Technikgläubigkeit zur Körperverletzung- ab wann ist Profitstreben mörderisch? Die Atomkatastrophe von Fukushima mit nicht absehbaren Folgen und menschlichem Leid, hat diese Frage in grauenhafter Weise beantwortet.

Wir wissen, Atomanlagen sind nicht sicher, der Betrieb ist unverantwortlich! Wir sagen deshalb eindeutig und klar: Alle AKW´s abschalten, sofort und überall!

-Gerade einmal 6 Wochen nach der Atomkatastrophe von Fukushima setzen Atomkonzerne und PolitikerInnen auf ihre alten Lügen und aufgefrischte Propaganda. Wie schon vor 25 Jahren, als das Desaster von Tschernobyl als Ostblock eigen definiert wurde (und westliche AKW als sicher und technisch überlegen), verweisen sie nun zynisch auf die Unwahrscheinlichkeit von Tsunamis in der BRD. Die realen Gefahren (Störfälle, Beinahe GAUS, strahlender Abfall für tausende von Jahren, Flugzeugabstürze) werden kleingeredet oder ganz verleugnet. Die vier großen Energiekonzerne(E.ON, RWE, Vattenfall, EnBW) bauen eine Angstkulisse von Stromknappheit, Verlust von Arbeitsplätzen und sinkendem Lebensstandard auf.

Unterdessen faseln ihre Claqueure aus der Politik erneut von „Brückentechnologie“, die für eine Übergangszeit nötig sei. Beleg dafür, dass weder in den Vorstandsetagen, noch in den Parlamenten ein Umdenken stattgefunden hat. Warum auch? Bestimmend ist die Maxime des Geldes: Sicherer Profit geht vor Sicherheit für Mensch und Umwelt.

-Die AKW-Betreiber sind fein raus:

Das das atomare Unfallrisiko ihrer Anlagen nicht versicherbar ist? Egal ! Die jahrzehntelang gewachsene Kumpanei zur Regierungen aller Couleur sichert Ihnen im Katastrophenfall eine Haftungsbegrenzung zu.

Dass bei Ihrem Geschäft für 10.000 de Jahre hochradioaktiver Müll anfällt, der nicht sicher entsorgt werden kann- Egal! Die Kumpanei zur Regierungen aller Couleur sicherten ihnen den Weiterbetrieb bei fehlendem „Entsorgungsnachweis“ zu.

Diese Listeliese sich noch lange fortsetzen.

-Nun gehören zu Lügen und Propaganda jedoch immer zwei- diejenigen die sie erfinden und aussprechen und diejenigen die sie glauben.

Und so muss gefragt werden (und diese Kritik ist an uns selbst gerichtet) warum hat erst der Laufzeitverlängerungsbeschluss der momentanen Regierung zu den verstärkten Protesten im letzten Jahr geführt? War es vorher wirklich entscheidend besser? Wie stark ist das Bedürfnis vieler nach einem ungestörten ruhigen Leben und Konsum, wie hoch ist der Grad der Akzeptanz des Wahnsinns?

Warum wurde nicht auch der sogenannte Atomkonsens der damaligen Rot-Grünen Regierung, (von all denen die heute überall auf die Straße gehen), als oberfauler Kompromiss wahrgenommen, sicherte er doch den AKW Betreibern jahrzehntelangen Weiterbetrieb ihrer Anlagen zu und das noch unter Verzicht auf sicherheitstechnische Nachrüstungen?

Die Fähigkeit Tschernobyl zu verdrängen und den Politikern wieder Glauben zu schenken, war bestimmend und verschleierte den Blick vieler auf die Realität. Eine politische selektive Wahrnehmung, unter Ausblendung unangenehmer Tatsachen, führt zur Passivität, und ist genau das, was Herrschaft erst möglich macht.

Die Fähigkeit zu Verdrängen ist seit Fukushima unterbrochen (aber eben nur unterbrochen) Die Menschen sind sensibilisiert und stellen Fragen, werden aktiv…Das macht die Politik nervös.

Deshalb die politischen Salti rückwärts und die wüste verlogene Propaganda. Die von dieser Seite gehandelten Zeitpunkte des Abschaltens sind wie Lottozahlen- 16,17,22…

-Wir stehen hier vor einem der ältesten und vor dem jüngsten Reaktor der Republik. Das Neckarwestheim 1 abgeschaltet ist, ist gut, aber es reicht uns nicht. Die Unterteilung in Alt- und Neumeiler ist in ihrer Absicht offensichtlich.

Wir sagen jedoch: Auch jüngere Meiler sind nicht sicher. Jeder laufende Reaktor ist eine Gefahr, produziert tonnenweise hochgiftigen Atommüll, und gehört abgeschaltet. Sofort!

-Jetzt gilt es die Produktion von weiterem, Jahrtausende strahlenden, Atommüll zu verhindern.

Es gilt einer dezentralen, demokratischen, auf erneuerbaren Energien beruhenden Energieversorgung den Weg zu ebnen. Es gilt die Macht der Konzerne zu brechen und die Strommonopole aufzulösen.

Es liegt jetzt an uns, den Druck aufrecht zu erhalten. Nur der Druck der Straße ändert etwas an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Und nur wir werden die richtigen und konsequenten Forderungen stellen.

Wir werden den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke keinesfalls akzeptieren – ganz egal mit welchen Lügen er uns von welcher Regierung auch immer schmackhaft gemacht werden soll.

Wir sind nicht bereit dem profitgesteuerten Gedankengang eines verheerenden „Restrisikos“ zu folgen.

Wenn sie uns ein Restrisiko zumuten, werden wir zum Risiko für ihre Politik.

Viele von uns haben bereits im November letzten Jahres die Castoren auf ihrem Weg nach Gorleben blockiert. Bauern auf ihren Traktoren, Sitzblockierer und Schotterer leisteten aktiven Widerstand.

Sie wurden als Gewalttäter und Kriminelle diffamiert. Wir hingegen wissen, Körperverletzer und Kriminelle sind die Betreiber und Verfechter von Atomanlagen.

Spätestens nach Fukushima ist noch viel mehr Menschen klar, dass es nicht ausreicht massenweise auf die Straße zu gehen, sondern das wir noch viel weiter gehen müssen.

Angefangen mit der Verweigerung als Konsumenten und dem Wechsel des Stromanbieters, über die vielfältigsten Formen des Protestes, dem Blockieren der Castoren- bis hin zur Blockade von AKW´s…

Abschalten bleibt Handarbeit!

Maßstab unseres Handelns darf auch nicht nur eine deutsche oder europäische Befindlichkeit sein. Es geht eben nicht nur um Ökologie. Es nützt nichts, wenn unsere Waren das Biosiegel tragen, aber sich nichts an den Ausbeutungs- und Lebensbedingungen der Menschen weltweit geändert hat. Wir müssen und werden die Zusammenhänge sehen und wir begreifen uns deshalb auch als eine soziale Bewegung, die Nein sagt zu Entmündigung und Ausbeutung.

-Liebe Anwesende, für uns alle kommt es in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren darauf an zu fragen- wie weit wollen wir gehen?

Wenn wir der Meinung sind, dass die Verhältnisse geändert werden müssen, tragen wir auch die Verantwortung für diesen Prozess. Oder wir überlassen die Politik und die Gesellschaft wieder den etablierten Institutionen, den Parteien, Wirtschaftsverbänden, den Gewerkschaften- dann wird sich nichts oder nur wenig ändern.

Ich muss sagen, diese Fragen in Baden-Württemberg zu stellen hat seinen besonderen Reiz.

Wer glaubt wirklich, dass es eine Grün-Rote Landesregierung schon richtet, oder wer stellt sich schon innerlich auf die Maxime des Machbaren und des Zweckpragmatismus ein?

Je bequemer wir sind, desto mehr werden wir fremdbestimmt…

Aber da wir das nicht wollen, werden wir dranbleiben, voneinander lernen, mutig sein und Widerstand leisten…

Es liegt an uns… wir sehen uns, Abschaltblockaden rund um Neckarwestheim vom 13. bis 21. August 2011 …

Ich danke euch…




Berthold Frieß, BUND Baden-Württemberg

Rede "25 Jahre Tschernobyl – Atomausstieg sofort, Energiewende jetzt!" - AKW Neckarwestheim, 25. April 2011


Liebe Atomkraftgegnerinnen und Atomkraftgegner,

liebe Freundinnen und Freunde einer entschlossenen Energiewende!


25 Jahre nach Tschernobyl und 46 Tage nach Fukushima seid ihr heute hier, weil ihr keine Kilowattstunde Atomstrom mehr haben wollt!

Ja, wir alle sind gegen die Atomtechnologie. Wir haben 100 gute Gründe gegen Atom-kraft und seit Fukushima sind wir bitter bestätigt.

So entschlossen wir „nein“ sagen zur Atomkraft so entschlossen sagen wir „ja“ zu einer ernsthaften Energiewende. Wir sagen „ja“ zu einem nachhaltigen Umgang mit Energie – „ja“ zum Energiesparen, „ja“ zur effizienten Nutzung und Erzeugung von Energie und „ja“ zu erneuerbaren Energien.

Zum Glück haben wir bundesweit schon 17 Prozent Stormerzeugung aus erneuerbaren Energien. Mit einer nicht erwarteten Dynamik schritt ihr Ausbau in den letzten Jahren voran.

Trotzdem haben wir bis heute keine Energiewende!

Die alternativen Energien aus Sonne, Wind und Wasser sind bisher additive Energien – zusätzliche Kilowattstunden, die bisher nicht gebraucht wurden. Es gibt viel zu viele atomare und fossile Großkraftwerke. Die EnBW und die anderen großen Energieversorger, zum Teil auch Stadtwerke investieren immer noch riesige Summen in neue Kohlekraftwerke. Das ist völliger Blödsinn!

Eine aktuelle Studie von Greenpeace bescheinigt den großen Energieversorgern, dass sie ohne Wasserkraft grade mal 0,5 Prozent erneuerbare Energien in ihrem Energiemix haben. Das ist ein Armutszeugnis.

Die Energiewende ist bei den großen Konzernen nicht angekommen!

In der Politik wird derzeit viel von Energiewende geredet, einem Wort, das noch vor acht Wochen bei vielen als ökologischer Kampfbegriff galt. Auch in weiten Teilen der Politik ist die Energiewende bis auf schöne Worte noch immer nicht angekommen!

Ebenso wenig ist die Energiewende in weiten Teilen der Wirtschaft angekommen und auch nicht bei einer großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern! Gerade Mal acht Prozent aller Haushalte in Deutschland beziehen derzeit Ökostrom. Ich gehe davon aus, dass wir hier und heute eine Quote von 100 Prozent haben und ihr alle längst gewechselt habt!

Gerade weil eine echte und ernsthafte Energiewende für alle gesellschaftlichen Kräfte eine große Herausforderung darstellt braucht es nun klare politische Entscheidungen!

In Berlin müssen die neuernannten Anti-Atom-Parteien CDU und FDP zeigen, dass es ihnen wirklich ernst ist mit der Energiewende: Es muss der sofortige und konsequente Atomausstieg beschlossen werden. Eine Kurskorrektur reicht nicht für die Energiewende. Die Wende braucht einen Kurswechsel! Einen Kurswechsel hin zu einem Energiespar-Sofortprogramm und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien.

In Stuttgart muss die neugewählte grün-rote Anti-Atom-Regierung zeigen was in ihr steckt: Die EnBW muss in einer Radikalkur vom atomaren Kopf auf erneuerbare Füße gestellt werden. Vor allen Dingen die Windenergie muss im Windland Baden-Württemberg zu einem wesentlichen Faktor werden. Eine Verzehnfachung der installierten Leistung in den nächsten zehn Jahren ist notwendig. Geltende Gesetze wie das Erneuerbare-Wärme-Gesetz sind ab sofort auch für öffentliche und nicht nur private Gebäude anzuwenden.

Ihr steht heute hier gegen das Vergessen! Wir werden es nicht zulassen, dass nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima sich wieder die Interessen der großen Stromkonzerne durchsetzen!

Was ist sonst noch wichtig für eine echte und ernsthafte Energiewende?

• Die Energiewende ist mehr als der Ausbau der erneuerbaren Energien

Die Energiewende braucht einen anderen Umgang mit Energie. Das Gebot der Stunde heißt Kilowattstunden sparen und damit Atomkraftwerke wegsparen. Ein Energiespar-Sofortprogramm auf Bundesebene kann mindestens ein Atomkraftwerk pro Jahr über-flüssig machen. Solche Sparaktionen finden wir Schwaben besonders klasse und wir Umwelt- und Naturschützer vom BUND auch: Denn jede gesparte Kilowattstunde verur-sacht keine Konflikte mit Umwelt, Menschen und Natur und zudem wird das Stromnetz entlastet und damit weniger Infrastruktur erforderlich. Energiesparen und Energieeffizienz sind die wahren Brückentechnologien! Die Energiewende ist mehr als der Ausbau der erneuerbaren Energien!

• Die Energiewende kostet, aber sie erspart uns sehr viel!

120 bis 200 Milliarden Euro soll die Energiewende in den nächsten zehn Jahren kosten. Mit dieser Zahl versuchen interessierte Kreise die Energiewende finanziell unmöglich erscheinen zu lassen. Abgesehen davon, dass diese Summe nicht zwischen Investitionen und Subventionen unterscheidet relativiert sie sich stark, wenn man weiß, dass in den beiden vergangenen Jahren jeweils 15-20 Milliarden Euro alleine in erneuerbare Energien investiert wurden. Übrigens: Der Erneuerbare-Energien-Fonds nach dem Atomgesetz, der von den Betreibern der Atomkraftwerke gefüllt werden soll, würde insgesamt gerade mal 16 Milliarden umfassen: Bis zu 20 Jahre Laufzeitverlängerung für einen Jahresbetrag Investitionen in Erneuerbare. Darauf wollen und werden wir verzichten!

Durch konsequente Effizienzmaßnahmen können übrigens wiederum rund 20 Milliarden Euro Energiekosten gesamtwirtschaftlich pro Jahr eingespart werden. Ein Supergau in Deutschland würde uns neben allem Tod und Leid 5000 Milliarden kosten. Klar, die Energiewende kostet, aber sie erspart und sehr viel!

• Die Energiewende macht soziale Gerechtigkeit möglich!

Der Preis für Energie wird in den kommenden Jahren steigen: Mit Energiewende und erst recht ohne Energiewende. Seit 1998 haben wir z.B. stetig steigende Strompreise in Deutschland – ohne Energiewende. Die hohen Subventionen für Atomstrom nicht mitgerechnet, seine Risiken erst recht nicht. Bei der Energiewende kommt nun der Faktor Energieeffizienz dazu. Dadurch haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Chance ihre Energiekosten im Zaum zu halten und sogar zu reduzieren. Wichtig ist, dass auch sozial prekäre Milieus mit auf den Effizienzpfad genommen werden. Die Energiewende hält die Energiekosten im Zaum und macht auf diesem Gebiet soziale Gerechtigkeit möglich!

• Die Energiewende braucht Infrastruktur und Bürgerbeteiligung!

Es steht außer Frage, dass die Energiewende bei aller Einsparung und Effizienz neue Wind- und Solarparks und sonstige Energieerzeugungsanlagen braucht. Ebenfalls muss die Netz- und Speicherinfrastruktur für die neuen Erfordernisse umgebaut werden, wenn auch nicht in dem Umfang, wie derzeit öffentlich diskutiert. Es steht ebenfalls außer Frage, dass dieser Um- und Ausbau schnell vonstatten gehen muss. Für mich ist aber völlig klar, dass dies nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger sondern mit ihnen passieren muss. Es braucht keine Netz- oder Windkraftausbaubeschleunigungsgesetze, die von vorn herein die Beteiligungsrechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger beschneiden. Solche Gesetze sind für mich die Unwörter des ersten Quartals 2011. Wer Beschleunigung sät wird Widerstand ernten.

Vielmehr braucht es klare politische Entscheidungen für die Energiewende, dann gehen die Menschen diesen Weg auch mit. Ebenso braucht es einen frühen und offenen Dialog mit den Menschen. Die Energiewende braucht Infrastruktur und Bürgerbeteiligung!

So entschlossen wir „nein“ sagen zur Atomkraft so entschlossen sagen wir „ja“ zu einer ernsthaften Energiewende. Wir sagen „ja“ zu einem nachhaltigen Umgang mit Energie – „ja“ zum Energiesparen, „ja“ zur effizienten Nutzung und Erzeugung von Energie und „ja“ zu erneuerbaren Energien.

Für diese „ja’s“ fordern wir uns allen viel ab und von den politisch Verantwortlichen in Stuttgart und Berlin fordern wir nun klare Entscheidungen weg vom fossil-atomaren Pfad hin zum solar vernetzten Pfad! Wir stehen heute hier, weil wir eine echte und ernsthafte Energiewende wollen!

Vielen Dank!