Das Atomdorf
In Japan wurde die gesamte Industrialisierung vom Staat schon immer in enger Zusammenarbeit mit der Industrie betrieben. So entstand auch ab 1954 - trotz Hiroshima und Nagasaki - auf der Grundlage eines neuen Gesetzes der atomare Komplex und somit eine enge Zusammenarbeit und Verflechtung zwischen Politikern, Behörden, Wirtschaftsverbänden und Elektrizitätskonzernen, atomhörigen Wissenschaftlern, sowie den Massenmedien. Dieses verfilzte System der atomaren Interessen wird in Japan „das Atomdorf“ genannt.
In Japan gibt es insgesamt 10 Energiekonzerne, die über eine Monopolstellung die Macht zur Elektrizitätserzeugung und die Gebietsmonopole unter sich aufgeteilt haben. Der größte davon ist Tepco mit 39.000 Mitarbeitern und Betreiber der Fukushima Atomreaktoren. Mit seinen 17 Atomkraftwerken und weiteren 173 Elektrizitätswerken hatte Tepco ein Drittel des Stroms erzeugt. Insgesamt waren in Japan vor Fukushima 54 Atomkraftwerke in Betrieb. Trotz massiven Drängens des Atomdorfes gelang dem Widerstand aus der Bevölkerung vor Ort, das Anfahren von AKWs weitgehend zu verhindern. Erst 5 AKWs konnten wieder in Betrieb genommen werden.
Staatlicher Filz und Atomindustrie in Japan
Die Behörden, die für die Sicherheit und Kontrolle der AKWs verantwortlich sind, sind gleichzeitig für die Förderung der Atomenergie zuständig. In den Gremien zur Förderung sitzen dann Vertreter der Energiekonzerne als Berater mit am Tisch. Deshalb gab und gibt es in Japan de facto keine Atomaufsicht, die gegen die Interessen der Atomkonzerne handelt. Gravierende Sicherheitsmängel werden vertuscht, Protokolle und Daten in Sicherheitsberichten gefälscht.
Wenn einflussreiche Beamte pensioniert werden, erhalten sie eine lukrative Stelle in einer der Firmen, zu denen zuvor langjährige Beziehungen bestanden. Es ist üblich, dass ranghohe Politiker in die Elektrizitätsindustrie wechseln. So werden beispielsweise bei einigen Energiekonzernen immer die Posten der stellvertretenden Vorsitzenden mit Politikern besetzt. Die Energiekonzerne sind seit ihrem Entstehen die größten Geldgeber der Politik. Aus den Büchern der LPD - der liberaldemokratischen Partei – geht hervor, dass seit 1976 mehr als 70% der Individualspenden an die Partei von leitenden Angestellten Tepcos gemacht wurden. Für atomare Forschung und Entwicklung gibt der japanische Staat seit Jahrzehnten jährlich mehrere Milliarden Euro aus.
Nach Fukushima sollten neue Sicherheitsbestimmungen für Atomkraftwerke konzipiert werden: Kurz danach wurde bekannt, dass 4 von 6 Mitgliedern dieser Kommission in den letzten Jahren Zahlungen der Atomindustrie in Form von Honoraren, Spenden oder Stipendien erhalten haben.
Olympische Sommerspiele 2020 in Japan:
Radioaktive Gefährdung wird tabuisiert
Distrikt Fukushima: Tepco über alles. In der Gemeinde Futaba hatte Tepco ein großes Sport- und Trainingszentrum für die japanische Fußballnationalmannschaft gebaut. Natürlich durften dort auch die Mannschaften von Futaba spielen und trainieren. Und natürlich gab es in der Vergangenheit nie einen Zusammenhang von Schmiergeldaffären mit dem Errichten von weiteren Atomkraftwerken in Fukushima. Dumm gelaufen. Tepco ist seit Fukushima ein zahlungsunfähiger Konzern, der nur mit staatlichen Milliarden weiter existieren kann. Seit 2011 ist dort die Sperrzone. Im Sportzentrum sind die Feuerwehrleute, das Hilfspersonal und die Ingenieure untergebracht, die in den verseuchten Atomruinen von Fukushima arbeiten müssen. Hier essen, wohnen und schlafen sie, auf dem firmeneigenen Gelände von Tepco. 2020 finden in Japan die olympischen Sommerspiele statt. In diesem Sportzentrum sollen dann nach den Planungen der Regierung wieder Athleten untergebracht werden, trotz der gesundheitsgefährdenden Strahlung. Diese wird inzwischen von allen staatlichen Stellen und der Regierung tabuisiert. Auch die europäischen Regierungen ignorieren bewusst diese Gefährdungen, schweigen zu den Langzeitfolgen des Super-GAU.
Widerstand und Selbsthilfe
Der größte Erfolg der japanischen Anti-AKW-Bewegung ist es, dass bis jetzt die erneute Inbetriebnahme von Atomkraftwerken weitgehend verhindert werden konnte. Dies gegen den Willen des gesamten „Atomdorfes“, durch Proteste in Tokio und Widerstand im ganzen Land.
Auf lokaler und regionaler Ebene gelang es den Menschen bereits in der Vergangenheit, den Bau von neuen AKWs in Japan zu verhindern. Die Fischer wehren sich auch heute erfolgreich gegen die Pläne von Tepco und der Regierung, radioaktiv verseuchtes Wasser von Fukushima einfach ins Meer zu leiten.
Nach der Atomkatastrophe wurden die Menschen von der Regierung im Stich gelassen. Sowohl die Evakuierten, wie alle anderen, die in Gebieten mit einer hohen Strahlung weiter leben sollen. Wie bereits seit Jahrzehnten bei zahlreichen Atomunfällen und Skandalen versuchen seit 2011 Tepco und die Regierung, die Gefahren des Super-GAU zu vertuschen und zu leugnen.
In Japan entstanden viele Selbsthilfe-Initiativen in Wohngebieten, in Kindergärten und Schulen, auch zur medizinischen Betreuung und Versorgung. Hilfe zur Selbsthilfe, da die Regierung die Linie vertritt, es gäbe keine radioaktiven Gefahren mehr, und alle staatlichen medizinischen Hilfsmaßnahmen daher gestoppt wurden. Es gibt in ganz Japan eine neue Anti-AKW-Bewegung, die auch international arbeitet und um Unterstützung bittet. Beispielsweise zur Finanzierung der medizinischen Untersuchungen und zum Betrieb von eigenen Messstationen.
Unterstützt die japanische Anti-Atom-Bewegung!