Wirtschaftswoche, 17.12.06

> Konzerne locken mit Atomstrom-Millionen
> RWE will seinen Reaktor Biblis A länger als vereinbart am Netz lassen.

Foto: dpa
Gespräche über Gewinnbeteiligung»

Seit Jahren streiten sich Energiekonzerne und Politik um den
Atomausstieg. Nachdem Drohungen, sie würden ins Ausland abwandern, nicht
so recht fruchteten, versuchen es die Stromriesen nun mit einer neuen
Strategie: Sie wollen die Politiker mit viel Geld ködern. Und wie es
scheint, sind diese gar nicht so abgeneigt, auf das lukrative Angebot
einzugehen.

HB MÜNCHEN. Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther
Oettinger (CDU) berichtete im Nachrichtenmagazin "Focus" von
entsprechenden Zusagen der Energiekonzerne. Nach seinen Angaben könnte
ein Verzicht auf das vorzeitige Abschalten von Atomkraftwerken
zweistellige Millionenbeträge in die Staatskasse spülen. Oettinger
erwartet demnach solche Summen von "jedem der großen Energieversorger,
die wie EnBW einen Großteil ihres Stroms aus Kernkraft beziehen". Dafür
müssten die Energieunternehmen den Gewinn aus der längeren Laufzeit mit
dem Staat teilen.

Die EnBW sei dazu bereit, wird der Stuttgarter Regierungschef zitiert:
"Entsprechende Gesprächsergebnisse liegen mir vor." Der Stromproduzent
wolle "vielleicht sogar die Hälfte der nachweisbaren Gewinne durch
längere Laufzeit für öffentliche Zwecke bereitstellen", sagte Oettinger.
Das Geld solle dann vor allem in die Entwicklung erneuerbarer Energien
fließen.

Atomlobby attackiert Bundesregierung

Der Vorstoß der Energiekonzerne kommt überraschend, haben sie bisher doch
eher auf Konfrontation gesetzt. Noch vor kurzem hat de Atomindustrie der
Bundesregierung vorgeworfen, mit dem vereinbarten Ausstieg Deutschland in
der internationalen Energiepolitik zu isolieren. "Weder Europa noch der
Rest der Welt lassen sich vom deutschen Kernenergieausstieg
beeindrucken", sagte der Präsident des Deutschen Atomforums, Walter
Hohlefelder, Ende November auf einer internationalen Branchenkonferenz in
Berlin.

Seit dem vor sechs Jahren von der rot-grünen Bundesregierung und der
Atomindustrie vereinbarten Ausstieg hätten sich die Rahmenbedingungen
entscheidend verändert. "Die weltweite Nachfrage nach Energie wächst
rasant; gleichzeitig wachsen mit dem größer werdenden Energieverbrauch
die Herausforderungen an die Klimavorsorge", sagte der Chef des
Lobbyverbands. Praktisch alle führenden Industrienationen, darunter
Frankreich, Großbritannien, die USA und Japan, reagierten darauf mit dem
Neubau von Kernkraftwerken.


Atommeiler sollen Jahrzehnte laufen

Die Atomindustrie in Deutschland pocht deswegen auf längere Laufzeiten
bestehender Atommeiler. Weltweit seien mittlerweile Laufzeiten von 40 bis
60 Jahren üblich, sagte Hohlefelder. Dagegen seien bei deutschen Anlagen
im Durchschnitt nur 32 Jahre vorgesehen. Deutschlands zweitgrößter
Energiekonzern RWE hatte im September eine Laufzeitverlängerung für den
Reaktor Biblis A in Hessen gestellt. Der Konzern will, dass der 32 Jahre
alte Meiler drei Jahre länger als vereinbart am Netz bleibt,also bis
2011. Dafür sollen offen gebliebene Atomstrommengen des stillgelegten AKW
Mülheim-Kärlich auf Biblis A übertragen werden.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will den Antrag unter Verweis
auf das Atomgesetz ablehnen. Abschaltkandidaten unter den 17 deutschen
Atomkraftwerken sind bis 2009 neben Biblis A auch Block A des Meilers
Neckarwestheim I und Brunsbüttel. Die Betreiber dieser beiden Kraftwerke,
EnBW und Vattenfall, wollen ebenfalls längere Laufzeiten erwirken.
[17.12.2006]






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