Stuttagrter Nachrichten, 22.02.10

> Vernebelungstaktik gegen Terroristen

Sollten Terrorpiloten ein Flugzeug in ein deutsches Atomkraftwerk steuern, gäbe es eine
Katastrophe. Das weiß man seit Jahren. Nun endlich wird im Südwesten gehandelt, oder
besser: vernebelt.

Von Rainer Wehaus

STUTTGART/KARLSRUHE. Es ist ein Konzept für den Ernstfall: Zum Schutz vor
Terrorangriffen aus der Luft installiert der Energiekonzern EnBW offenbar noch in diesem
Jahr rund um das Kernkraftwerk Philippsburg (KKP) eine Anlage zur Blitzvernebelung. "Wir
werden die Genehmigung dafür voraussichtlich Anfang April erteilen", sagte ein Sprecher
des Umweltministeriums unserer Zeitung. Der Bau der Anlage werde vermutlich rund ein
Dreivierteljahr benötigen. Demnach wären die Nebelbatterien Anfang 2011 einsatzbereit.

Die Vernebelungsanlage soll es Terroristen erschweren, ein Flugzeug zielgenau in ein
Reaktorgebäude zu steuern und so eine atomare Katastrophe auszulösen. Wie die Anlage
genau funktioniert und wann sie in Betrieb gehen wird, wird mit Blick auf potenzielle
Attentäter geheim gehalten. "Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir zu Maßnahmen der
Objektsicherung in der Öffentlichkeit keine Stellungnahme abgeben", sagte ein Sprecher der
EnBW. Der Konzern betreibt im Südwesten noch vier Reaktorblöcke - zwei in Philippsburg
(Landkreis Karlsruhe) und zwei in Neckarwestheim (Kreis Heilbronn).

Philippsburg wäre nach Grohnde und Biblis das dritte und bislang größte deutsche
Atomkraftwerk, das mit einer solchen Anlage ausgestattet wird. Laut dem Stuttgarter
Umweltministerium sieht der Plan der deutschen Energieversorger vor, dieses Jahr auch den
Atommeiler in Brunsbüttel und möglicherweise auch noch das Kernkraftwerk Unterweser mit
entsprechenden Nebelbatterien auszustatten. Insgesamt werden in Deutschland momentan
noch 17 Reaktorblöcke an elf Standorten betrieben. Bereits stillgelegte Reaktoren wie der in
Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis) sollen keine Vernebelungsanlage erhalten.

Bezahlt wird der Bau solcher Anlagen von den Energieversorgern und damit von deren
Kunden. Die Rede ist von einem zweistelligen Millionenbetrag pro Kraftwerk. Aufgrund
technischer Probleme und politischer Widerstände hat sich die Umsetzung aber immer
wieder verzögert. So sollte die Vernebelung des Meilers in Philippsburg nach früheren
Angaben des Umweltministeriums eigentlich bereits vergangenes Jahr erfolgen. Angesichts
der Größe des Geländes (60 Hektar) und einer "neu entwickelten Leittechnik", die zum
Einsatz kommen soll, habe es aber Verzögerungen gegeben, so der Sprecher des
Ministeriums. Auslöser der Aktivitäten ist eine Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit
(GRS), die im Jahr 2003, zwei Jahre nach dem Anschlag auf das World Trade Center, eine
aufsehenerregende Studie vorlegte. Demnach würden die meisten deutschen
Atomkraftwerke dem Absturz eines großen Passagierflugzeugs nicht standhalten. Zu den
drei Reaktoren, die bundesweit besonders verletzlich sind, zählt Block I in Philippsburg.

Zum einen, weil die Form des Reaktorgebäudes einer Schuhschachtel ähnelt, so dass ein
Aufprall mehr Zerstörung verursacht als bei einem eiförmigen Gebilde. Zum anderen weil
das Reaktorgelände topografisch "auf dem Präsentierteller" liege, wie es heißt, also leicht
angesteuert werden kann. Die beiden Reaktoren in Neckarwestheim hingegen gelten als
vergleichsweise gut geschützt aufgrund der sie umgebenden Landschaft. Neckarwestheim
steht im Zeitplan der Betreiber daher auf den hinteren Rängen. Wann dort eine
Vernebelungsanlage errichtet werden soll, ist noch unklar.

Früheren Berichten zufolge ist geplant, rings um jedes Kernkraftwerk Batterien mit
Nebelgranaten aufzustellen. Im Alarmfall, wenn ein Flugzeug seine Route verlässt und auf
ein Kernkraftwerk zusteuert, würden die Granaten elektronisch und je nach Windrichtung
gezündet. Das Kraftwerksgelände soll so großflächig innerhalb von nur 40 Sekunden in
dichten Nebel eingehüllt werden und damit dem Terrorpiloten das Zielen erschweren. Trifft er
nicht genau das Reaktorgebäude, ließe sich zumindest eine atomare Katastrophe durch die
Freisetzung großer Mengen an Radioaktivität verhindern. Der Nebel hält zwar nur wenige
Minuten. Die Granaten können aber erneut gezündet werden, sollte der Pilot beidrehen und
einen zweiten Versuch unternehmen.

Der Nutzen einer solchen Vernebelung ist umstritten. Kritiker verweisen auf mobile
Navigationsgeräte, die auch bei Nebel einen zielgenauen Angriff ermöglichen. Die Betreiber
wollten daher die Satellitensignale für Navigationsgeräte im Alarmfall weiträumig stören
lassen. Doch da davon auch alle anderen Flugzeuge in dem Gebiet betroffen wären, legte
das Bundesverkehrsministerium sein Veto ein. Laut Landesumweltministerin Tanja Gönner
(CDU) hat man inzwischen eine Lösung des Problems gefunden, die man allerdings der
Öffentlichkeit nicht verraten will. Auf Anfrage der Grünen teilte sie im Juni vergangenen
Jahres lediglich mit: "In einem im Auftrag des Umweltministeriums durch eine Gruppe
erfahrener Flugexperten erstellten Gutachten wurde die Wirksamkeit der Tarnmaßnahmen
für die Standorte Philippsburg und Neckarwestheim sowohl für den Sichtflug als auch für
einen automatischen Anflug mit Nutzung von Navigationsinstrumenten in jeder Hinsicht
bestätigt."

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